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Gedanken
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Dresden und Leipzig. 1756. Im Verlag der Waltheriſchen Handlung.
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n Großmaͤchtigſten Fuͤrſten und Herrn,
S & N R N Eriderich Muguſto, Könige in Pohlen ꝛc. Churfuͤrſten
zu Sachſen ir.
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lege ich dieſe Blätter in tieffter Unferthänigkeit zu e 25 . „ Die
Die Zuverſicht dieſes Unternehmens gründet ſich auf den Gebrauch aus jener goldenen Zeit der Künſe, die durch Ew. Koͤnigl. Majeſtaͤt der Welt wiederum in ihrem größten Glanze gezeiget wird. ; |
Zu Auguſti Zeiten wuͤrde man geglaubet haben, ein Werk, das die Künfte betrift, verlöhre an ſich felbft viel, wenn es jemand anders, als dem Auguſt ſelbſt, dem Va ter der Künfte, gewidmet worden wäre
Ew. Koͤnigl. Majeſtaͤt haben die Beſchuͤtzung der ſchönen Kuͤnſte, nebſt andern groſſen Eigenſchaften dieſes Monarchen, als ein Erbtheil vorzuͤglich erhalten; und ein Verſuch in den Kuͤnſten, von welchen Ew. Koͤnigl.
Maje⸗
Majeſtaͤt der erleuchteſte Kenner und der hoͤchſte Richter ſind, kann niemand anders, als Deroſelben weiſeſten Entſcheidung zuerſt unterworfen werden.
Es ſollte billig dem geheiligten Namen Elb. Koͤ⸗ nigl. Majeſtaͤt, welchen die Kuͤnſte verewigen, nichts geweihet werden, als was zugleich der Nachwelt wuͤrdig erkannt worden: aber dahin reichten meine Kraͤfte nicht; und was kann der Majeſtaͤt gebracht werden, fo groß und ſo erhaben es immer iſt, was nicht klein und niedrig
erſcheinet, in Vergleichung mit der Hoͤhe derſelben?
Das wenige, was ich bringe, ſey zugleich ein Opfer für den Schutzgott des Reichs der Kuͤnſte, deſſen 1 Gren⸗
Grenzen ich zu betreten gewaget habe; und Opfer find allezeit weniger durch ſich ſelbſt, als durch die reine Ab⸗ ſicht derſelben, gefällig geweſen: dieſe wird für mich das
Wort reden.
allerunterthaͤnigſt gehorſamſter Knecht, |
Winkelmann.
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Gedanken
uͤber
die Nachahmung der griechiſchen Werke in der Malerey und Bildhauerkunſt.
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Der gute Geſchmack, welcher ſich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat ſich angefangen zuerſt un⸗ ter dem griechiſchen Himmel zu bilden. Alle Erfin⸗ = dungen fremder Voͤlker kamen gleichſam nur als der = erſte Saame nach Griechenland, und nahmen eine an-
dere Natur und Geſtalt an in dem Lande, welches Minerba, * ſagt man, vor allen Laͤndern, wegen der gemaͤſſigten Jah⸗
A Der 1 Pjato in Timæo, edit. Francof. p. 1044.
2 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
reszeiten, die ſie hier angetroffen, den Griechen zun Wohnung angewie⸗ fen, als ein Land welches kluge Köpfe hervorbringen würde,
Der Geſchmack, den dieſe Nation ihren Werken gegeben hat, iſt ihr eigen geblieben; er hat ſich ſelten weit von Griechenland entfernet, ohne etwas zu verliehren, und unter entlegenen Himmelſtrichen iſt er ſpaͤt bekannt geworden. Er war ohne Zweifel ganz und gar fremde unter einem nordiſchen Himmel, zu der Zeit, da die beyden Kuͤnſte, deren große Lehrer die Griechen ſind, wenig Verehrer fanden; zu der Zeit, da die verehrungswuͤrdigſten Stuͤcke des Correggio im koͤniglichen Stalle zu Stockholm vor die Fenſter, zu Bedeckung derſelben, gehäͤnget waren.
Und man muß geſtehen, daß die Regierung des großen Auguſts der eigentliche glückliche Zeitpunct iſt, in welchem die Kuͤnſte, als eine fremde Colonie, in Sachſen eingefuͤhret worden. Unter ſeinem Nachfolger, dem deutſchen Titus, ſind dieſelben dieſem Lande eigen worden, und durch ſie wird der gute Geſchmack allgemein.
Es iſt ein ewiges Denkmahl der Grdße dieſes Monarchen daß zu Bildung des guten Geſchmacks die größten Schaͤtze aus Italien, und was ſonſt vollkommenes in der Malerey in andern Ländern hervorge- bracht worden vor den Augen aller Welt aufgeſtellet ſind. Sein Eifer, die Kuͤnſte zu verewigen, hat endlich nicht geruhet, bis wahrhafte un⸗ truͤgliche Werke griechiſcher Meiſter, und zwar vom erſten Range, den Kuͤnſtlern zur Nachahmung ſind gegeben worden.
Die reinſten Qvellen der Kunſt find geöffnet: glücklich iſt, wer fie findet und ſchmecket. Dieſe Qvellen ſuchen, heißt nach Athen reiſen; und Dreßden wird nunmehro Athen fuͤr Kuͤnſtler.
Der
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 8
Der einzige Weg fir uns, groß, ja, wenn es möglich iſt, unnach⸗ ahmlich zu werden, iſt die Nachahmung der Alten, und was jemand vom Homer geſagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verſte⸗ hen gelernet, gilt auch von den Kunſtwerken der Alten, ſonderlich der Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit ſeinem Feunde, bekannt gewor⸗ den ſeyn, um den Laocoon eben ſo unnachahmlich als den Homer zu fin⸗ den. In ſolcher genauen Bekanntſchaft wird man wie Nicomachus von der Helena des Zeuxis urtheilen: „Nimm meine Augen ', ſagte er zu einen Unwiſſenden, der das Bild kadeln wollte, „fo wird fie dir eine Göttin feheinen” |
Mit dieſem Auge haben Michael Angelo, Raphael und Poußin die Werke der Alten angeſehen. Sie haben den guten Geſchmack aus ſeiner Qvelle geſchoͤpfet, und Raphael in dem Lande ſelbſt, wo er ſich gebildet. Man weis, daß er junge Leute nach Griechenland geſchicket, die Ueber⸗ bleibſel des Alterthums fuͤr ihn zu zeichnen.
Eine Bildſaͤule von einer alten romiſchen Hand wird ſich gegen ein griechiſches Urbild allemal verhalten, wie Virgils Dido in ihrem Gefol- ge mit der Diana unter ihren Oreaden verglichen, ſich gegen Homers Nauſicaa verhält, welche jener nachzuahmen geſuchet hat.
Laocoon war den Kuͤnſtlern im alten Rom eben das, was er uns iſt; des Polyclets Regel; eine vollkommene Regel der Kunſt.
Ich habe nicht noͤthig anzufuͤhren, daß ſich in den beruͤhmteſten Wer⸗ ken der griechiſchen Kuͤnſtler gewiſſe Nachlaͤßigkeiten finden: der Del⸗ phin, welcher der Mediceiſchen Venus zugegeben iſt, nebſt den ſpielen⸗ den Kindern; die Arbeit des Dioſcorides auffer der Hauptfigur in feinem geſchnittenen Diomedes mit dem Palladio, ſind Beyſpiele dabon. Man
A 2 | weis
4 Von der Nachahmung der griechifchen Werke
weis, daß die Arbeit der Ruͤckſeite auf den ſchoͤnſten Münzen der egyp⸗ tiſchen und ſyriſchen Könige den Köpfen dieſer Könige felten beykommt. Groſſe Kuͤnſtler find auch in ihren Nachlaͤßigkeiten weiſe, fie koͤnnen nicht fehlen, ohne zugleich zu unterrichten. Man betrachte ihre Werke, wie Lucian den Jupiter des Phidias will betrachtet haben; den Jupiter ſalbſ, nicht den Schemmel feiner Fuͤſſe.
Die Kenner und Nachahmer der griechiſchen Werke finden in ihren Meiſterſtuͤcken nicht allein die ſchoͤnſte Natur, ſondern noch mehr als Na⸗ tur, das iſt, gewiſſe idealiſche Schoͤnheiten derſelben, die, wie uns ein alter Ausleger des Plato“ lehret, von Bildern Bien im Berftande ent: worfen, gemacht find.
Der ſchoͤnſte Körper unter uns wäre vielleicht dem fchönften griechi⸗ ſchen Körper nicht ähnlicher, als Iphicles dem Hercules, feinem Bruder, war. Der Einfluß eines ſanften und reinen Himmels wuͤrkte bey der erſten Bildung der Griechen, die frühzeitigen Leibesübungen aber gaben dieſer Bildung die edle Form. Man nehme einen jungen Spartaner, den ein Held mit einer Heldin gezeuget, der in der Kindheit niemals in Windeln eingeſchrenkt geweſen, der von den ſiebenden Jahre an auf der Erde geſchlafen, und im Ringen und Schwimmen von Kindesbeinen an war geuͤbet worden. Man ſtelle ihn neben einen jungen Sybariten unſe⸗ rer Zeit, und alsdenn urtheile man, welche von beyden der Kuͤnſtler zu einem Urbilde eines jungen Theſeus, eines Achilles, ja ſelbſt eines Bac⸗ chus, nehmen wuͤrde. Nach dieſen gebildet, wuͤrde es ein Theſeus bey Roſen, und nach jenem gebildet, ein Theſeus bey Fleiſch erzogen, wer⸗ den, wie ein griechiſcher Maler von zwo verſchiedenen Vorſtellungen Die: ſes Helden urtheilete. Zu
8 Pyoclus in Timaum Natonis.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 5
Zu den Leibesuͤbungen waren die großen Spiele allen jungen Griechen ein kraͤftiger Sporn, und die Geſetze verlangeten eine zehen monathliche Vorbereitung zu den olympiſchen Spielen, und dieſes in Elis, an dem Orte ſelbſt, wo ſie gehalten wurden. Die groͤßten Preiſe erhielten nicht allezeit Maͤnner, ſondern mehrentheils junge Leute, wie Pindars Oden zeigen. Dem göttlichen Diagoras? gleich zu werden, war der hoͤchſte Wunſch der Jugend. 156 ;
Sehet den ſchnellen Indianer an, der einem Hirſche zu Fuſſe nachſetzet: wie fluͤchtig werden ſeine Saͤfte, wie biegſam und fehnell werden ſeine Ner⸗ ven und Muskeln, und wie leicht wird der ganze Bau des Körpers ge: macht. So bildet uns Homer ſeine Helden N und ſeinen Achilles bezeich⸗ net er vorzüglich durch die Geſchwindigkeit ſeiner Fuͤſſe.
Die Körper erhielten durch dieſe Uebungen den großen und mannli- chen Contour, welchen die griechiſchen Meiſter ihren Bildſaͤulen gegeben, ohne Dunſt und uͤberfluͤßigen Anſatz. Die jungen Spartaner muſten ſich alle zehen Tage vor den Ephoren nackend zeigen, die denjenigen, welche anfiengen fett zu werden, eine ſtrengere Diaͤt auflegten. Ja es war eins | unter den Geſetzen des Pythagoras, ſich vor allen uͤberfluͤßigen Anſatz des Körpers zu hüten. Es geſchahe vielleicht aus eben dem Grunde, daß jungen Leuten unter den Griechen der aͤlteſten Zeiten, die ſich zu ei: nem Wettkampf im Ringen angaben, waͤhrend der Zeit der Voruͤbungen nur Milchſpeiſe zugelaſſen war.
Aller Uebelſtand des Koͤrpers wurde behutſam vermieden, und da Alcibiades in feiner Jugend die Flöte nicht wolte blaſen lernen weil fie das Geſicht verſtellete, fo folgeten die jungen Athenienſer feinem Bey⸗
ſpiele. A 3 Nach⸗ | v. Pindar. Olymp. Od. VII. Arg. € Schol.
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6 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Nachdem war der ganze Anzug der Griechen ſo beſchaffen, daß er der bildenden Natur nicht den geringſten Zwang anthat. Der Wachs⸗ thum der ſchönen Form litte nichts durch die verſchiedenen Arten und Thei⸗ le unſerer heutigen preſſenden und klemmenden Kleidung, ſonderlich am Halſe, an Huͤften und Schenkeln. Das ſchoͤne Geſchlecht ſelbſt unter den Griechen wuſte von keinem aͤngſtlichen Zwange in ihrem Putze: Die jungen Spartanerinnen waren ſo leicht und kurz bekleidet, daß man fie da: her Hüftzeigerinnen nannte,
Es iſt auch bekannt, wie ſorgfaͤltig die Griechen waren, ſchoͤne Kine der zu zeugen. Quillet in feiner Callipaͤdie zeiget nicht fo viel Wege da⸗ zu, als unter ihnen uͤblich waren. Sie giengen ſo gar ſo weit, daß ſie aus blauen Augen ſchwarze zu machen ſuchten. Auch zu Befoͤrderung dieſer Abſicht errichtete man Wettſpiele der Schönheit, Sie wurden iin Elis gehalten: der Preiß beſtand in Waffen, die in den Tempel der Mi- nerva aufgehaͤnget wurden. An gruͤndlichen und gelehrten Richtern kon⸗ te es in dieſen Spielen nicht fehlen, da die Griechen, wie Ariſtoteles be⸗ richtet, ihre Kinder im Zeichnen unterrichten lieſſen, vornemlich weil ſie glaubten, daß es geſchickter mache, die Schoͤnheit in den Koͤrpern zu betrachten und zu beurtheilen.
Das ſchoͤne Geblüt der Einwohner der mehreſten griechiſchen Juſeln welches gleichwohl mit ſo verſchiedenen fremden Gebluͤthe vermiſchet iſt, und die vorzuͤglichen Reizungen des ſchoͤnen Geſchlechts daſelbſt, ſonder⸗ lich auf der Inſel Scios, geben zugleich eine gegruͤndete Muthmaßung don den Schoͤnheiten beyderley Geſchlechts unter ihren Vorfahren, die ſich ruͤhmeten, urſpruͤnglich, ja Alter als der Mond zu ſeyn. |
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in der Malerey und Bildhauerkunſt. 7
Es find ja noch itzo ganze Volker, bey welchen die Schönheit fo gar kein Vorzug iſt, weil alles ſchoͤn iſt. Die Reiſebeſchreiber ſagen dieſes einhellig von den Georgianern, und eben dieſes berichtet man von den Ka⸗ bardinski, einer Nation in der crimiſchen Taterey.
Die Krankheiten, welche ſo viel Schoͤnheiten zerſtoͤren, und die edel⸗ ſten Bildungen verderben, waren den Griechen noch unbekannt. Es fin⸗ det ſich in den Schriften der griechiſchen Aerzte keine Spur von Blattern, und in keines Griechen angezeigter Bildung, welche man beym Homer oft nach den geringſten Zuͤgen entworfen ſiehet, iſt ein ſo unterſchiedenes Kennzeichen, dergleichen Blattergruben find, angebracht worden.
Die veneriſchen Uebel, und die Tochter derſelben, die engliſche Krankheit, wuͤteten auch noch nicht wider die ſchoͤne Natur der Griechen.
Ueberhaupt war alles, was von der Geburt bis zur Fuͤlle des Wachs⸗ thums zur Bildung der Koͤrper, zur Bewahrung, zur Ausarbeitung und zur Zierde dieſer Bildung durch Natur und Kunſt eingefloͤßet und gelehret worden, zum Vortheil der ſchoͤnen Natur der alten Griechen gewuͤrkt und angewendet, und kann die vorzuͤgliche Schönheit ihrer Koͤr— per vor den unſrigen mit der groͤßten Wahrſcheinlichkeit zu behaupten An⸗ laß geben.
Die vollkommenſten Geſchoͤpfe der Natur aber wuͤrden in einem Lan⸗ de, wo die Natur in vielen ihrer Wirkungen durch ſtrenge Geſetze gehem⸗ met war, wie in Egypten, dem vorgegebenen Vaterlande der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, den Kuͤnſtlern nur zum Theil und unvollkommen be⸗ kannt geworden ſeyn. In Griechenland aber, wo man ſich der Luſt und und Freude von Jugend auf weihete, wo ein gewiſſer heutiger buͤrgerli⸗ cher Wohlſtand der Freyheit der Sitten niemahls Eintrag gethan, da
zeigte ſich die Schöne Natur unverhuͤllet zum großen Unterrichte der Kuͤnſtler. n Die
8 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Die Schule der Kuͤnſtler war in den Gymnaſien, wo die jungen Leute, welche die öffentliche Schamhaftigkeit bedeckte, ganz nackend ihre Leibesübungen trieben. Der Weiſe, der Kuͤnſtler giengen dahin: So: crates den Charmides, den Avtolycus, den Lyſis zu lehren; ein Phidias, aus dieſen ſchoͤnen Geſchoͤpfen feine Kunſt zu bereichern. Man lernete daſelbſt Bewegungen der Muskeln, Wendungen des Koͤrpers: man ſtudirte die Umriſſe der Koͤrper, oder den Contour an dem Abdrucke, den die jungen Ringer im Sande gemacht hatten.
Das ſchoͤnſte Nackende der Körper zeigte fich hier in fo mannigfalti⸗ gen, wahrhaften und edlen Ständen und Stellungen, in die ein gedun⸗ genes Modell, welches in Nad Academien aufgeſtellet wird, de zu ſetzen iſt.
Die innere Empfindung bildet den Character der Wahrheit, und der Zeichner, welcher ſeinen Academien denſelben geben will, wird nicht einen Schatten des wahren erhalten, ohne eigene Erſetzung desjenigen, was ei⸗ ne ungeruͤhrte und gleichguͤltige Seele des Modells nicht empfindet, noch durch eine Action, die einer gewiſſen Empfindung oder Leidenſchaft eigen iſt, ausdruͤcken kan.
Der Eingang zu vielen Geſpraͤchen des Plato, die er in den Gym⸗ naſien zu Athen ihren Anfang nehmen laſſen, machet uns ein Bild von den edlen Seelen der Jugend, und laͤſſet uns auch hieraus auf gleichfoͤr⸗ mige Handlungen und Stellungen an dieſen Orten und in ihren Leibes uͤbungen ſchlieſſen.
Die ſchoͤnſten jungen Leute tanzten unbekleidet auf dem Theater, ii Sophocles, der große Sophocles, war der erſte, der in feiner Jugend dieſes Schauſpiel ſeinen Buͤrgern machte. Phryne badete ſich in den
| Eleuſi⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 9
Eleuſiniſchen Spielen vor den Augen aller Griechen, und wurde beym Herausſteigen aus dem Waſſer den Kuͤnſtlern das Urbild einer Venus Anadyomene; und man weis, daß die jungen Maͤdgen in Sparta an ei- nem gewiſſen Feſte ganz nackend vor den Augen der jungen Leute tanzten. Was hier fremde ſcheinen koͤnte, wird ertraͤglicher werden, wenn man bedenket, daß auch die Chriſten der erften Kirche ohne die geringſte Ver⸗ huͤllung, ſo wohl Maͤnner als Weiber, zu gleicher Zeit und in einem und eben demſelben Taufſteine getauft, oder unter getaucht worden ſind.
Alſo war auch ein jedes Feſt bey den Griechen eine Gelegenheit fuͤr Kuͤnſtler, ſich mit der ſchoͤnen Natur aufs genaueſte bekannt zu machen.
Die Menſchlichkeit der Griechen hatte in ihrer bluͤhenden Freyheit keine blutigen Schauſpiele einfuͤhren wollen, oder wenn dergleichen in dem Joniſchen Aſien, wie einige glauben, uͤblich geweſen, ſo waren fie feit geraumer Zeit wiederum eingeſtellet. Antiochus Epiphanes, König in Syrien, verſchrieb Fechter von Rom, und ließ den Griechen Schau— ſpiele dieſer ungluͤcklichen Menſchen ſehen, die ihnen anfaͤnglich ein Abſcheu waren: mit der Zeit verlohr ſich das menſchliche Gefühl, und auch dieſe Schauſpiele wurden Schulen der Kuͤnſtler. Ein Cteſilas ſtudirte hier feinen ſterbenden Fechter,“ an welchem man ſehet ute wie viel von Reiner Seele noch in ihm uͤbrig war.
Dieſe häufigen Gelegenheiten zur Beobachtung der Natur veranlaffe: ten die griechiſchen Kuͤnſtler noch weiter zu gehen: ſie fiengen an, ſich ge— wiſſe allgemeine We von e ſo wohl einz elner Theile als
gan⸗
* Einige muthmaſſen, daß diefer Fechter, von welchem Plinius redet, der berühmte Ludoviſt⸗ ſche Fechter ſey, der itzo in dem großen Saale des Capitolii einen Platz bekommen hat. B
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10 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
ganze Verhaͤltniſſe der Körper zu bilden, die ſich über die Natur ſelbſt er⸗ heben folten; ihr Urbild war eine blos im Verſtande entworfene geiſti⸗ ge Natur. i
So bildete Raphael feine Galathea. Man ſehe feinen Brief an den Grafen Balthaſar Caſtiglione: „Da die Schoͤnheiten „, ſchreibt er, „unter dem Frauenzimmer ſo ſelten ſind, ſo bediene ich e einer ge⸗ wiſſen Idee in meiner Einbildung. , N
Nach ſolchen über die gewöhnliche Form der Materie erhabenen Be⸗ griffen bildeten die Griechen Götter und Menſchen. An Göttern und Goͤttinnen machte Stirn und Naſe beynahe eine gerade Linie. Die Köpfe berühmter Frauen auf griechiſchen Münzen haben dergleichen Pro⸗ fil, wo es gleichwohl nicht willkuͤhrlich war, nach idealiſchen Begriffen zu arbeiten. Oder man koͤnnte muthmaſſen, daß dieſe Bildung den alten Griechen eben ſo eigen geweſen, als es bey den Calmucken die flachen Naſen, bey den Sineſen die kleinen Augen ſind. Die großen Augen der
griechiſchen Koͤpfe auf Steinen und Muͤnzen konnten dieſe Muthmaſſung unterſtuͤtzen.
Die roͤmiſchen Kaiſerinnen wurden von den Griechen auf ihren Muͤnzen nach eben dieſen Ideen gebildet: der Kopf einer Livia und einer Agrippina hat eben daſſelbe Profil, welches der Kopf einer Artemiſig und einer Cleopatra hat. Mr i
Bey allen dieſen bemerket man, daß das von den Thebanern ihren Kuͤnſtlern vorgeſchriebene Geſetz; v die Natur bey Strafe aufs beſte nach⸗
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5. Bellori Deſcrix. delle Imagini depinte da Rafaelle & Vrbino & 2 Roma, 1695. fol.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 11
zuahmen „auch von andern Kuͤnſtlern in Griechenland als ein Geſetz beobachtet worden. Wo das ſanfte griechiſche Profil ohne Nachtheil der Aehnlichkeit nicht anzubringen war, folgeten ſie der Wahrheit der Na⸗ tur, wie an den ſchoͤnen Kopf der Julia, Kaiſers Titus Tochter, von der Hand des Evodus zu ſehen iſt.
Das Geſetz aber, „die Perſonen aͤhnlich und zu gleicher Zeit ſchoͤner zu machen,, war allezeit das hoͤchſte Geſetz, welches die griechiſchen Kuͤnſtler uͤber ſich erkannten, und ſetzet nothwendig eine Abſicht des Mei⸗ ſters auf eine ſchoͤnere und vollkommenere Natur voraus. Polygnotus hat daſſelbe beſtaͤndig beobachtet.
Wenn alſo von einigen Kuͤnſtlern berichtet wird, daß ſie wie Praxi⸗ teles verfahren, welcher ſeine Cnidiſche Venus nach ſeiner Beyſchlaͤferin Cratina gebildet, oder wie andere Maler, welche die Lais zum Model der Gratien genommen, ſo glaube ich, ſey es geſchehen, ohne Abwei⸗ chung von gemeldeten allgemeinen groſſen Geſetzen der Kunſt. Die ſinnli⸗ che Schönheit gab dem Kuͤnſtler die ſchoͤne Natur; die idealiſche Schön- heit die erhabenen Zuͤge: von jener nahm er das Menſchliche, von die⸗ fer das Göttliche,
Hat jemand Erleuchtung genug, in das innerſte der Kunſt hinein zu ſchauen, ſo wird er durch Vergleichung des ganzen uͤbrigen Baues der griechiſchen Figuren mit den mehreſten neuen, ſonderlich in welchen man mehr der Natur, als dem alten Geſchmacke gefolget iſt, vielmals noch we⸗ nig entdeckte Schönheiten finden.
In den meiſten Figuren neuerer Meiſter ſiehet man an den Theilen des ame welche gedruckt ſind, kleine gar zu ſehr e a
B 2 | | der . Stofch Pierres grau. pl. XXXTIT.
12 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
der Haut; dahingegen, wo ſich eben dieſelben Falten in gleichgedruck⸗ ten Theilen griechiſcher Figuren legen, ein ſanfter Schwung eine aus der andern wellenfoͤrmig erhebt, dergeſtalt, daß dieſe Falten nur ein Gan⸗ zes, und zuſammen nur einen edlen Druck zu machen ſcheinen. Dieſe Meiſterſtuͤcke zeigen uns eine Haut, die nicht angeſpannet, ſondern fanft gezogen iſt über ein geſundes Fleiſch, welches dieſelbe ohne ſchwuͤlſtige Ausdehnung fuͤllet, und bey allen Beugungen der fleiſchigten Theile der Richtung derſelben vereinigt folget. Die Haut wirft niemals, wie an unſern Koͤrpern, beſondere und von dem Fleiſch getrennete kleine Falten.
Eben ſo unterſcheiden ſich die neuern Werke von den griechiſchen durch eine Menge kleiner Eindruͤcke, und durch gar zu viele und gar zu ſinnlich gemachte Gruͤbchen, welche, wo fie ſich in den Werken der Alten befin⸗ den, mit einer ſparſamen Weißheit, nach der Maaße derſelben in der vollkommenern und voͤlligern Natur unter den Griechen, ſanft angedeu⸗ tet, und dfters nur durch ein gelehrtes Gefuͤhl bemerket werden.
Es bietet ſich hier allezeit die Wahrſcheinlichkeit von ſelbſt dar, daß in der Bildung der fehönen griechiſchen Korper, wie in den Werken ihrer Meiſter, mehr Einheit des ganzen Baues, eine edlere Verbindung der Theile, ein reicheres Maas der Fuͤlle geweſen, ohne magere Spannun⸗ gen und ohne viel eingefallene Hoͤhlungen unſerer Koͤrper.
Man kan weiter nicht, als bis zur Wahrſcheinlichkeit gehen. Es ver⸗ dienet aber dieſe Wahrſcheinlichkeit die Aufmerkſamkeit unſerer Kuͤnſtler und Kenner der Kunſt; und dieſes um ſo viel mehr, da es nothwendig iſt, die Verehrung der Denkmale der Griechen von dem ihr von vielen beygemeſſenen Vorurtheile zu befreyen, um nicht zu ſcheinen, der Nach⸗ ahmung derſelben blos durch den Moder der Zeit ein Verdienſt beyzulegen.
5 Die⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 13
Dieſer Punct, uͤber welchen die Stimmen der Kuͤnſtler getheilet ſind, erfoderte eine ausführlichere Abhandlung, als in gegenwaͤrtiger Abſicht geſchehen koͤnnen.
Man weis, daß der große Bernini einer von denen geweſen, die den Griechen den Vorzug einer theils ſchoͤnern Natur, theils idealiſchen Schoͤn— heit ihrer Figuren hat ſtreitig machen wollen. Er war auſſer dem der Meynung, daß die Natur allen ihren Theilen das erforderliche Schoͤne zu geben wiſſe: die Kunſt beſtehe darinn; es zu finden. Er hat ſich ge- ruͤhmet, ein Vorurtheil abgeleget zu haben, worinn er in Anſehung des Reizes der Mediceiſchen Venus anfaͤnglich geweſen, den er jedoch nach einem muͤhſamen Studio bey Na ee Gelegenheiten in der Natur wahrgenommen.
Alſo iſt es die Venus geweſen, welche ihn Schoͤnheiten in der Natur entdecken gelehret, die er vorher allein in jener zu finden geglaubet hat, und die er ohne der Venus nicht wuͤrde in der Natur geſuchet haben. Folget nicht daraus, daß die Schönheit der griechiſchen Statuen eher zu ent: decken iſt, als die Schönheit in der Natur, und daß alſo jene ruͤhrender, nicht ſo ſehr zerſtreuet, ſondern mehr in eins vereiniget, als es dieſe iſt? Das Studium der Natur muß alſo wenigſtens ein laͤngerer und muͤhſa⸗ merer Weg zur Kenntniß des vollkommenen Schönen ſeyn, als es das Studium der Antiquen iſt: und Bernini hätte jungen Kuͤnſtlern, die er allezeit auf das Schoͤnſte in der Natur vorzuͤglich wies, nicht den kuͤr⸗ zeſten Weg dazu gezeiget. |
Die Nachahmung des Schönen der Natur ift entweder auf einen ein- zelnen Vorwurf gerichtet, oder ſie ſammlet die Bemerkungen aus ver⸗
| 8 11 ſchie⸗ . Baldinucci Pita del Cap. Bernino. ' 7
14 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke ſchiedenen einzelnen, und bringet ſie in eins. Jenes heißt eine aͤhnliche Copie, ein Portrait machen; es iſt der Weg zu hollaͤndiſchen Formen und Figuren. Dieſes aber iſt der Weg zum allgemeinen Schönen und zu idealiſchen Bildern deſſelben; und derſelbe iſt es, den die Griechen genommen haben. Der Unterſchied aber zwiſchen ihnen und uns iſt die⸗ ſer: Die Griechen erlangeten dieſe Bilder, waͤren auch dieſelben nicht von ſchoͤnern Koͤrpern genommen geweſen, durch eine taͤgliche Gelegen⸗ heit zur Beobachtung des Schönen der Natur, die ſich uns hingegen nicht alle Tage zeiget, und ſelten fo, wie fie der Kuͤnſtler wuͤnſchet.
Unſere Natur wird nicht leicht einen ſo vollkommenen Koͤrper zeugen, dergleichen der Antinous Admirandus hat, und die Idee wird ſich uͤber die mehr als menſchlichen Verhaͤltniſſe einer ſchoͤnen Gottheit in dem Va⸗ ticaniſchen Apollo, nichts bilden koͤnnen: was Natur, Geiſt und Kunſt hervor zu bringen vermoͤgend geweſen, lieget hier vor Augen.
Ich glaube, ihre Nachahmung koͤnne lehren, geſchwinder klug zu werden, weil ſie hier in dem einen den Inbegrif desjenigen findet, was in der ganzen Natur ausgetheilet iſt, und in dem andern, wie weit die ſchonſte Natur, ſich über fich ſelbſt kuhn, aber weislich erheben kann. Sie wird lehren, mit Sicherheit zu denken und zu entwerfen, indem ſie hier die hoͤchſten Grenzen des menſchlich und zugleich des wi 3 be⸗ ſtimmt ſiehet.
Wenn der Kuͤnſtler auf dieſen Grund bauet, und ſi ch die griechiſche Regel der Schönheit Hand und Sinne führen laͤſſet, fo iſt er auf dem Wege, der ihn ſicher zur Nachahmung der Natur fuͤhren wird. Die Begriffe des Ganzen, des Vollkommenen in der Natur des Alterthums werden die Begriffe des Getheilten in unſerer Natur bey ihm laͤutern und
. ſinn⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 15 ſinnlicher machen: er wird bey Entdeckung der Schönheiten derſelben die⸗ fe mit dem vollkommenen Schönen zu verbinden wiſſen, und durch Huͤlfe der ihm beſtaͤndig gegenwaͤrtigen en Formen wird er ſich ſelbſt eine Regel werden.
Alsdenn und nicht eher kan er, ſonderlich der Maler, ſich der Nach⸗ ahmung der Natur uͤberlaſſen in ſolchen Faͤllen, wo ihm die Kunſt ver— ſtattet von dem Marmor abzugehen, wie in Gewaͤndern, und ſich mehr Freyheit zu geben, wie Pouſſin gethan; denn „derjenige, welcher beſtaͤn⸗ dig andern nachgehet, wird niemals voraus kommen, und welcher aus ſich ſelbſt nichts gutes zu machen weis, wird ſich auch der Sachen von anderen nicht gut bedienen ,, wie Michael Angelo ſagt. | Seelen, denen die Natur hold geweſen,
| Quibus arte benigna
Et meliore luto finxit præcordia Titan, haben hier den Weg vor ſich offen, Originale zu werden.
In dieſem Verſtande iſt es zu nehmen, wenn der Piles berichten will, daß Raphael zu der Zeit, da ihn der Tod uͤbereilet, ſich beſtrebet habe, den Marmor zu verlaſſen, und der Natur gaͤnzlich nachzugehen. Der wahre Geſchmack des Alterthums wuͤrde ihn auch durch die gemeine Na⸗ tur hindurch beſtaͤndig begleitet haben, und alle Bemerkungen in derfel- ben würden bey ihm durch eine Art einer chymiſchen Verwandlung das⸗ jenige geworden ſeyn, was ſein Weſen, ſeine Seele ausmachte.
Er wuͤrde vielleicht mehr Mannigfaltigkeit, oröͤſſere Gewaͤnder, mehr Co⸗ Iorit, mehr Licht und Schatten ſeinen Gemaͤlden gegeben haben: aber feine Fi: guren würden dennoch hierdurch allezeit weniger ſchaͤtzbar als durch den edlen
Con⸗
16 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Contour, und durch die erhabene Seele, die er aus den Griechen hatte bilden lernen, geweſen ſeyn.
Nichts wuͤrde den Vorzug der Nachahmung der Alten vor der Nach⸗ ahmung der Natur deutlicher zeigen koͤnnen, als wenn man zwey junge Leute naͤhme von gleich ſchoͤnem Talente, und den einen das Alterthum, den andern die bloße Natur ſtudiren lieſſe. Dieſer wuͤrde die Natur bilden, wie er ſie findet: als ein Italiener wuͤrde er Figuren malen viel⸗ leicht wie Caravaggio; als ein Niederlaͤnder, wenn er gluͤcklich iſt, wie Jacob Jordans: als ein Franzos, wie Stella: jener aber wuͤrde die Natur bilden, wie ſie es verlanget, und Figuren malen, wie Raphael.
Koͤnte auch die Nachahmung der Natur dem Kuͤnſtler alles geben, jo wuͤrde gewiß die Richtigkeit im Contour durch fie nicht zu erhalten feyn; dieſe muß von den Griechen allein erlernet werden.
Der edelſte Contour vereiniget oder umſchreibet alle Theile der ſchoͤn⸗ ſten Natur und der idealiſchen Schoͤnheiten in den Figuren der Griechen; oder er iſt vielmehr der höͤchſte Begrif in beyden. Euphranor, der nach des Zeuxis Zeiten ſich hervor that, wird vor den erſten DARIN, er demfelben Die erhabenere Manier gegeben.
Viele unter den neueren Kuͤnſtlern haben den griechiſchen Contour nachzuahmen geſuchet, und faſt niemanden iſt es gelungen. Der große Rubens iſt weit entfernt don dem griechiſchen Umriße der Koͤrper, und in denenjenigen unter ſeinen Werken, die er vor ſeiner Reiſe nach Itali⸗ en, und vor dem Studio der Antiquen gemachet hat, am weiteſten.
Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem Ueberfluͤßigen der⸗ ſelben ſcheidet, iſt ſehr klein, und die größten neueren Meiſter find über diefe nicht allezeit greifliche Grenze auf beyden Seiten zu ſehr abgewichen.
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in der Malerey und Wildhauerkunſt. 17
Derjenige, welcher einen ausgehungerten Contour vermeiden wollen, iſt in die Schwulſt verfallen; der dieſe vermeiden wollen, in das Magere.
Michael Angelo iſt vielleicht der einzige, von dem man ſagen koͤnnte, daß er das Alterthum erreichet; aber nur in ſtarken muſculdſen Figuren, in Koͤrpern aus der Heldenzeit; nicht in zaͤrtlich jugendlichen, nicht in weiblichen Figuren, welche unter ſeiner Hand zu Amazonen gewor⸗ den ſind.
Der griechiſche Kuͤnſtler hingegen hat ſeinen Contour in allen Figu⸗ ren wie auf die Spitze eines Haars geſetzt, auch in den feinſten und muͤh⸗ ſamſten Arbeiten, dergleichen auf geſchnittenen Steinen iſt. Man be⸗ trachte den Diomedes und den Perſeus des Dioſcorides; den Hercules mit der Jole von der Hand des Teucers, ? und bewundere die hier un: nachahmlichen Griechen.
Parrhaſius wird insgemein vor den ſtaͤrkſten im Contour gehalten.
Auch unter den Gewaͤndern der griechiſchen Figuren herrſchet der meiſterhafte Contour, als die Hauptabſicht des Kuͤnſtlers, der auch durch den Marmor hindurch den ſchoͤnen Be feines Körpers wie durch ein Coiſches Kleid zeiget.
Die im hohen Stile gearbeitete Agrippina, und die drey Veſtalen un⸗ ter den Koͤniglichen Antiquen in Dreßden, verdienen hier als große Mu⸗ ſter angeführet zu werden. Agrippina iſt vermuthlich nicht die Mutter des Nero, ſondern die ältere Agrippina, eine Gemahlin des Germanicus. Sie hat ſehr viel Aehnlichkeit mit einer vorgegebenen ſtehenden Statue
eben Ber Agrippina in dem Vorſaale der Bibliothee zu St. Marco in Vene⸗ "v. Stofch Pierres grau. pl. XXIX. XXX, % % Mas Jaor, 2. 11.8. 0er,
18 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Venedig! Unſere iſt eine ſitzende Figur, groͤſſer als die Natur, mit geſtuͤtztem Haupte auf die rechte Hand. Ihr ſchoͤnes Geſicht zeiget eine Seele, die in tiefen Betrachtungen verſenkt, und vor Sorgen und Kum⸗ mer gegen alle aͤuſſere Empfindungen fuͤhllos ſcheinet. Man koͤnnte muthmaſſen, der Kuͤnſtler habe die Heldin in dem betruͤbten Augenblick vorſtellen wollen, da ihr die Verweiſung nach der Inſel ane war
angekuͤndiget worden. Die drey Veſtalen ſind unter einem doppelten Titel Eee
dig. Sie ſind die erſten groſſen Entdeckungen von Herculanum: allein was ſie noch ſchaͤtzbarer macht, iſt die groſſe Manier in ihren Gewaͤndern. In dieſem Theile der Kunſt ſind ſie alle drey, ſonderlich aber diejenige, welche groͤſſer iſt als die Natur, der farneſiſchen Flora und anderen grie— chiſchen Werken vom erſten Range beyzuſetzen. Die zwo andern, groß wie die Natur, ſind einander ſo aͤhnlich, daß ſie von einer und eben der⸗ ſelben Hand zu ſeyn ſcheinen; ſie unterſcheiden ſich allein durch die Koͤpfe, welche nicht von gleicher Guͤte ſind. An dem beſten Kopfe liegen die gekraͤuſelten Haare nach Art der Furchen getheilt, von der Stirne an bis da wo ſie hinten zuſammengebunden ſind. An dem andern Kopfe gehen die Haare glatt uͤber den Scheitel, und die vordere gekraͤuſelten Haare find durch ein Band geſammlet und gebunden. Es iſt glaublich, daß die⸗ ſer Kopf durch eine neuere wiewohl gute Hand gearbeitet und angeſetzt worden. Das Haupt dieſer beyden Figuren iſt mit keinen Schleyer bedecket, welches ihnen aber den Titel der Veſtalen nicht ſtreitig machet; da erweiß⸗ lich iſt, daß ſich auch anderwerts Prieſterinnen der Nee ohne Schleyer fin⸗ 5, Zanetti Statue nell Antiſala della Libreria di S. Marco, Venex. 1740. ‚fol.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 19
finden. Oder es ſcheinet vielmehr aus den ſtarken Falten des Gewandes hinten am Halſe, daß der Schleyer, welcher kein abgeſondertes Theil vom Gewande iſt, wie an der größten Veſtale zu ſehen, hinten uͤberge⸗ ſchlagen liege. 5 | 1
Es verdienet der Welt bekannt gemacht zu werden, daß dieſe drey goͤttlichen Stuͤcke die erſten Spuren gezeiget zur nachfolgenden Entdeckung der unterirrdiſchen Schaͤtze von der Stadt Herculanum. |
Sie kamen an das Tagelicht, da annoch das Andenken derſelben gleichſam unter der Vergeſſenheit, ſo wie die Stadt ſelbſt, unter ihren eigenen Ruinen vergraben und verſchuͤttet lag: zu der Zeit, da das trau⸗ rige Schickſal, welches dieſen Ort betroffen, nur faſt noch allein durch des juͤngern Plinius Nachricht von dem Ende feines Vetters, welches ihn in der Verwuͤſtung von Herculanum zugleich mit uͤbereilete, bekannt war.
Dieſe groſſen Meiſterſtuͤcke der griechiſchen Kunſt wurden ſchon unter den deutſchen Himmel verſetzet, und daſelbſt verehret, da Neapel noch nicht das Glück hatte, ein einziges herculaniſches Denkmal, fo viel man er⸗ fahren koͤnnen, aufzuweiſen. .
Sie wurden im Jahr 1706. in Portici bey Neapel in einem verſchuͤt⸗ teten Gewoͤlbe gefunden, da man den Grund grub zu einem Landhauſe des Prinzen von Elbeuf, und ſie kamen unmittelbar hernach, nebſt andern daſelbſt entdeckten Statuen in Marmor und Erzt, in den Beſitz des Prin⸗ zen Eugens nach Wien.
Dieſer groſſe Kenner der Kuͤnſte, um einen vorzuͤglichen Ort zu ha⸗ ben, wo dieſelben koͤnnten aufgeſtellet werden, hat vornehmlich fuͤr dieſe drey Figuren eine Sala terrena bauen laſſen, wo ſie nebſt einigen andern Statuen ihren Platz bekommen haben. Die ganze Academie und alle
C 2 Kuͤn⸗
20 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Kuͤnſtler in Wien waren gleichſam in Empoͤrung, da man nur noch ganz dunkel von derſelben Verkauf ſprach, und ein jeder ſahe denſelben mit betruͤbten Augen nach, als fie von Wien nach Dreßden Rinder wurden.
Der berühmte Matielli,
dem Polielet das Maas, und Phidias das Eifen gab Algarotti hat, ehe noch dieſes geſchahe, alle drey Veſtalen mit dem muͤhſamſten Fleiſe in Thon copiret, um ſich den Verluſt derſelben dadurch zu erſetzen. Er folgete ihnen einige Jahre hernach, und erfuͤllete Dreßden mit ewigen Werken ſeiner Kunſt: aber ſeine Prieſterinnen blieben auch hier ſein Stu⸗ dium in der Drapperie, worinn ſeine Staͤrke beſtand, bis in ſein Alter; welches zugleich ein nicht ungegruͤndetes Vorurtheil ihrer Treflichkeit iſt.
Unter dem Wort Drapperie begreift man alles, was die Kunſt von Bekleidung des Nackenden der Figuren und von gebrochenen Gewaͤndern lehret. Dieſe Wiſſenſchaft iſt nach der ſchoͤnen Natur, und nach dem edlen Contour, der dritte Vorzug der Werke des Alterthums.
Die Drapperie der Veſtalen iſt in der hoͤchſten Manier: die kleinen Bruͤche entſtehen durch einen ſanften Schwung aus den groͤſſeren Parti⸗ en, und verlieren ſich wieder in dieſen mit einer edlen Freyheit und ſanf⸗ ten Harmonie des Ganzen, ohne den ſchöͤnen Contour des Nackenden zu verſtecken. Wie wenig neuere Meiſter ſind in dieſem Theile der Kunſt | ohne Tadel! |
Dieſe Gerechtigkeit aber muß man einigen groſſen Kuͤnſtlern, ſonder⸗ lich Malern neuerer Zeiten, wiederfahren laſſen, daß ſie in gewiſſen Faͤl⸗ len von dem Wege, den die griechiſchen Meiſter in Bekleidung ihrer Fi⸗ guren am gewoͤhnlichſten gehalten haben, ohne Nachtheil der Natur und
Wahr⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 21
Wahrheit abgegangen ſind. Die griechiſche Drapperie iſt mehrentheils nach duͤnnen und naſſen Gewaͤndern gearbeitet, die ſich folglich, wie Kuͤnſtler wiſſen, dicht an die Haut und an den Koͤrper ſchlieſſen, und das Nackende deſſelben ſehen laſſen. Das ganze oberſte Gewand des griechifchen Frauenzimmers war ein ſehr duͤnner Zeug; er hieß daher Pe⸗ plon, ein Schleyer.
Daß die Alten nicht allezeit fein gebt Gewaͤnder gemacht haben, zeigen die erhabenen Arbeiten derſelben. Die alten Malereyen, und ſon⸗ derlich die alten Bruſtbilder. Der ſchoͤne Caracallg unter den Koͤnigli⸗ chen Antiquen in Dreßden kan dieſes beſtaͤtigen.
In den neuern Zeiten hat man ein Gewand uͤber das andere, und zuweilen ſchwere Gewaͤnder, zu legen gehabt, die nicht in ſo ſanfte und flieſſende Brüche, wie der Alten ihre find, fallen konnen. Dieſes gab folglich Anlaß zu der neuen Manier der groſſen Partien in Gewaͤndern, in welcher der Meiſter feine Wiſſenſchaft nicht weniger, als in der gewoͤhn⸗ lichen Manier der Alten zeigen kan.
Carl Maratta und Franz Solimena koͤnnen in dieſer Art vor die groͤß⸗ ten gehalten werden. Die neue venetianiſche Schule, welche noch wei⸗ ter zu gehen geſuchet, hat dieſe Manier übertrieben, und indem fie nichts als groſſe Partien geſuchet, ſind ihre Gewaͤnder dadurch ſteif und ble⸗ chern worden.
Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechiſchen Meiſterſtücke iſt endlich eine edle Einfalt, und eine ſtille Gröffe, fo wohl in der Stel- lung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch fo wuͤten, eben fo zeiget der Ausdruck in den Fi: garen der Griechen bey allen Leidenſchaften eine groſſe und geſetzte Seele.
C 3 Die⸗
22 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Dieſe Seele ſchildert ſich in dem Geſichte des Laocoons, und nicht in dem Geſichte allein, bey dem heftigſten Leiden. Der Schmerz, welcher ſich in allen Muskeln und Sehnen des Koͤrpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Geſicht und andere Theile zu betrachten, an dem ſchmerzlich eingezogenen Unterleibe beynahe ſelbſt zu empfinden glaubet; die⸗ fer Schmerz, ſage ich, aͤuſſert ſich dennoch mit keiner Wuth in dem Ges, ſichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein ſchreckliches Geſchrey, wie Virgil von ſeinem Laocoon ſinget: Die Oeffnung des Mundes ge⸗ ſtattet es nicht; es iſt vielmehr ein aͤngſtliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beſchreibet. Der Schmerz des Koͤrpers und die Groͤſſe der Seele ſind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Staͤrke aus⸗ getheilet, und gleichſam abgewogen. Laocoon leidet, aber er leidet wie des Sophocles Philoctetes: ſein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wuͤnſchten, wie dieſer groſſe Mann, das Elend ertragen zu koͤnnen.
Der Ausdruck einer ſo groſſen Seele gehet weit uͤber die Bildung der ſchöͤnen Natur: Der Kuͤnſtler mußte die Staͤrke des Geiſtes in ſich ſelbſt fuͤhlen, welche er ſeinem Marmor einpraͤgete. Griechenland hatte Kuͤnſt⸗ ler und Weltweiſen in einer Perſon, und mehr als einen Metrodor. Die Weisheit reichte der Kunſt die Hand, und Die den W si mehr als gemeine Seelen ein.
Unter einem Gewande, welches der Kuͤnſtler dem Laocoon als einem Prieſter Hätte geben ſollen, würde uns fein Schmerz nur halb ſo ſinnlich geweſen ſeyn. Bernini hat ſo gar den Anfang der Wuͤrkung des Gifts der Schlange in dem einen Schenkel des Laocoons an der Erſtarrung des⸗ ſelben entdecken wollen.
Alle
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 23
Alle Handlungen und Stellungen der griechiſchen Figuren, die mit
dieſem Character der Weisheit nicht bezeichnet, ſondern gar zu feurig
und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten Kuͤnſtler Parenthyrſis nannten.
Je ruhiger der Stand des Körpers if, deſto geſchickter iſt er „den wahren Character der Seele zu ſchildern: in allen Stellungen, die von dem Stande der Ruhe zu ſehr abweichen, befindet fich die Seele nicht in dem Zuſtande, der ihr der eigentlichſte iſt, ſondern in einem gewaltſamen und erzwungenen Zuſtande. Kentlicher und bezeichnender wird die Seele in heftigen Leidenſchaften; groß aber und edel iſt ſie in dem Stande der Einheit, in dem Stande der Ruhe. Im Laocoon wuͤrde der Schmerz, al⸗ lein gebildet, Parenthyrſis geweſen ſeyn; der Kuͤnſtler gab ihm daher / um das Bezeichnende und das Edle der Seele in eins zu vereinigen, eine Action, die dem Stande der Ruhe in ſolchem Schmerze der nächfte war. Aber in dieſer Ruhe muß die Seele durch Zuͤge, die ihr und keiner an— dern Seele eigen ſind, bezeichnet werden, um ſie ruhig, aber zugleich wirkſam, ſtille, aber nicht gleichgültig oder ſchlaͤfrig zu bilden.
Das wahre Gegentheil, und das dieſem entgegen ſtehende aͤuſerſte En⸗ de iſt der gemeinſte Geſchmack der heutigen, ſonderlich angehenden Kuͤnſt⸗ ler. Ihren Beyfall verdienet nichts, als worinn ungewöhnliche SteF lungen und Handlungen, die ein freches Feuer begleitet, herrſchen, wel⸗ ches ſie mit Geiſt, mit Franchezza, wie ſie reden, ausgefuͤhret heiſſen. Der Liebling ihrer Begriffe iſt der Contrapoſt, der bey ihnen der Inbegriff al⸗ ler ſelbſt gebildeten Eigenſchafften eines vollkommenen Werks der Kunſt iſt. Sie verlangen eine Seele in ihren Figuren, die wie ein Comet aus
— ihrem
24 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke ihrem Creyſe weichet; ſie wuͤnſchten in jeder Figur einen Ajax und einen Capaneus zu ſehen.
Die ſchoͤnen Kuͤnſte haben ihre Jugend fo wohl, wie die Menſchen, und der Anfang dieſer Kuͤnſte ſcheinet wie der Anfang bey Kuͤnſtlern ge⸗ weſen zu ſeyn, wo nur das Hochtrabende, das Erſtaunende gefaͤllt. Solche Geſtalt hatte die tragiſche Muſe des Aeſchylus, und ſein Agame⸗ mnon iſt zum Theil durch Hyperbolen viel dunkler geworden, als alles, was Heraklit geſchrieben. Vielleicht haben die erſten griechiſchen Maler nicht anders gezeichnet, als ihr erſter guter Tragicus gedichtet hat.
Das Heftige, das Fluͤchtige gehet in allen menſchlichen Handlungen voran; das Geſetze, das Gruͤndliche folget zuletzt. Dieſes letztere aber gebrauchet Zeit, es zu bewundern; es iſt nur groffen Meiſtern eigen: hef⸗ tige Leidenſchaften find ein Vortheil auch für ihre Schüler.
Die Weiſen in der Kunſt wiſſen, wie ſchwer dieſes ſcheinbare nach⸗ ahmliche iſt
ut ſibi quivis Speret idem, ſudet multum fruſtraque laboret Auſus idem. HOR. La Fage, der groſſe Zeichner hat den Geſchmack der Alten nicht erreichen koͤnnen. Alles iſt in Bewegung in ſeinen Werken, und man wird in der Betrachtung derſelben getheilet und zerſtreuet, wie in einer Geſelſchaft, wo alle Perſonen zugleich reden wollen.
Die edle Einfalt und ſtille Gröffe der griechiſchen Statuen ift zugleich das wahre Kennzeichen der griechiſchen Schriften aus den beſten Zeiten, der Schriften aus Socrates Schule; und dieſe Eigenſchaften find es, wel⸗ che die vorzügliche Gröffe eines Raphaels machen, zu welcher er durch die Nachahmung der Alten gelanget iſt. Eine
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 25
Eine fo ſchoͤne Seele, wie die ſeinige war, in einem fo. ſchoͤnen Koͤr⸗ per wurde erfordert, den wahren Character der Alten in neueren Zeiten zuerſt zu empfinden und zu entdecken, und was ſein groͤßtes Gluͤck war, ſchon in einem Alter, in welchem gemeine und halbgeformte Seelen uͤber die wahre Groͤſſe ohne Empfindung bleiben.
Mit einem Auge, welches dieſe Schoͤnheiten empfinden gelernet, mit dieſem wahren Geſchmacke des Alterthums muß man ſich feinen Werken naͤhern. Alsdenn wird uns die Ruhe und Stille der Hauptfiguren in Raphaels Attila, welche vielen leblos ſcheinen, ſehr bedeutend und erha— ben ſeyn. Der roͤmiſche Biſchof, der das Vorhaben des Koͤnigs der Hunnen, auf Rom loßzugehen, abwendet, erſcheinet nicht mit Geberden und Bewegungen eines Redners, ſondern als ein ehrwuͤrdiger Mann, der blos durch ſeine Gegenwart einen Aufruhr ſtillet; wie derjenige, den uns Virgil beſchreibet,
Tum pietate grauem ac meritis ſi forte virum quem
Conſpexere, ſilent arredtisque auribus adſtant. AEN. I. mit einem Geſichte voll göttlicher Zuverſicht vor den Augen des Wuͤterichs. Die beyden Apoſtel ſchweben nicht wie Wuͤrgeengel in den Wolken, ſon⸗ dern wenn es erlaubt iſt, das Heilige mit dem Unheiligen zu vergleichen, wie Homers Jupiter, der durch das Winken ſeiner Augenlieder den Olym⸗ | pus erſchuͤttern macht.
Algardi in feiner berühmten Vorſtellung eben dieſer Geſchichte in halb erhobener Arbeit, an einem Altar der St. Peterskirche in Rom, hat die wirkſame Stille ſeines groſſen Vorgaͤngers den Figuren ſeiner beyden Apoſtel nicht gegeben, oder zu geben verſtanden. Dort erſcheinen ſie wie
D | Ge:
26 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Geſandten des Herrn der Heerſchaaren: hier wie ſterbliche Krieger mit menſchlichen Waffen.
Wie wenig Kenner hat der ſchoͤne St. Michael des Guido in der Ca⸗ pucinerkirche zu Rom gefunden, welche die Groͤſſe des Ausdrucks, die der Kuͤnſtler ſeinem Erzengel gegeben, einzuſehen vermoͤgend geweſen! Man giebt des Concha feinem Michael den Preis vor jenen,! weil er Unwillen und Rache im Geſichte zeiget, an ſtatt daß jener, nachdem er den Feind GOttes und der Menſchen geſtuͤrzt, ohne Erbitterung mit ei⸗ ner heiteren und ungeruͤhrten Mine uͤber ihn ſchwebet. |
Eben ſo ruhig und; ftille malet der engliſche Dichter den raͤchenden Engel, der uͤber Britannien ſchwebet, mit welchem er den Helden ſeines Feldzugs, den Sieger bey Bleinheim vergleichet.
Die Koͤnigliche Gallerie der Schildereyen in Dreßden enthaͤlt nun⸗ mehro unter ihren Schaͤtzen ein wuͤrdiges Werk von Raphaels Hand, und zwar von ſeiner beſten Zeit, wie Vaſari und andere mehr bezeugen. Eine Madonna mit dem Kinde, dem H. Sixtus und der H. Barbara,
kniend auf beyden Seiten, nebſt zwey Engeln im Vorgrunde. Es war dieſes Bild das Hauptaltarblat des Kloſters St. Sixti in
Piacenz. Liebhaber und Kenner der Kunſt giengen dahin, um dieſen Rapahel zu ſehen, fo wie man nur allein nach Theſpis reiſete, den ſchoͤ⸗ nen Cupido von der Hand des Praxiteles daſelbſt zu betrachten.
Sehet die Madonna mit einem Geſichte voll Unſchuld und zugleich einer mehr als weiblichen Groͤſſe, in einer ſeelig ruhigen Stellung, in der⸗ jenigen Stille, welche die Alten in den Bildern ihrer Gottheiten herrſchen lieſſen. Wie groß und edel iſt ihr ganzer Contour!
Das . Wright’ s Travels. 5
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 27
Das Kind auf ihren Armen iſt ein Kind über gemeine Kinder erha- ben, durch ein Geſichte, aus welchem ein Strahl der Gottheit durch die Unſchuld der Kindheit hervorzuleuchten ſcheinet.
Die Heilige unter ihr kniet ihr zur Seiten in einer anbetenden Stille ihrer Seelen, aber weit unter der Majeſtaͤt der Hauptfigur; welche Er⸗ niedrigung der groſſe Meiſter a den ſanften Reiz in ihrem Geſichte er⸗ ſetzet hat.
Der Heilige dieſer Figur gegen uͤber iſt der ehrwuͤrdigſte Alte mit Ge⸗ ſichtszuͤgen, die von ſeiner Gott geweiheten Jugend zu zeugen ſcheinen.
Die Ehrfurcht der H. Barbara gegen die Madonna, welche durch ihre an die Bruſt gedruͤckten ſchoͤnen Haͤnde ſinnlicher und ruͤhrender ge⸗ macht iſt, hilft bey dem Heiligen die Bewegung feiner einen Hand aus⸗ druͤcken. Eben dieſe Action malet uns die Entzuͤckung des Heiligen, wel⸗ che der Kuͤnſtler zu mehrerer Mannigfaltigkeit, weislicher der maͤnnlichen Staͤrke, als der weiblichen Zuͤchtigkeit geben wollen.
Die Zeit hat allerdings vieles von dem ſcheinbaren Glanze dieſes Ge: maͤldes geraubet, und die Kraft der Farben iſt zum Theil ausgewittert; allein die Seele, welche der Schoͤpfer dem Werke ſeiner Haͤnde eingebla⸗ ſen, belebet es noch itzo.
Alle diejenigen, welche zu dieſem und andern Werken Raphaels tre⸗ ten, in der Hofnung, die kleinen Schönheiten anzutreffen, die den Ars beiten der niederlaͤndiſchen Maler einen ſo hohen Preiß geben; den muͤh⸗ ſamen Fleiß eines Netſchers, oder eines Dou, das elfenbeinerne Fleiſch eines Van der Werff, oder auch die geleckte Manier einiger von Rapha⸗ els Landesleuten unſerer Zeit; dieſe, ſage ich, werden den groſſen BR” in dem Raphael vergebens ſuchen.
D 2 Nach
28 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Nach dem Studio der ſchoͤnen Natur, des Contours, der Drapperie, und der edlen Einfalt und ſtillen Groͤſſe in den Werken griechiſcher Mei: ſter, waͤre die Nachforſchung uͤber ihre Art zu arbeiten ein nöthiges Au⸗ genmerk der Kuͤnſtler, um in der r Nachahmung derſelben gluͤcklicher zu ſeyn.
Es iſt bekannt, daß ſie ihre erſten Modelle mehrentheils in Wachs gemachet haben; die neuern Meiſter aber haben an deſſen ſtatt Thon oder dergleichen geſchmeidige Maſſen gewaͤhlet: fie fanden dieſelben, fonderlich das Fleiſch auszudrücken, geſchickter als das Wachs, welches ihnen hier: zu gar zu klebricht und zaͤhe ſchien. f
Man will unterdeſſen nicht behaupten, daß die Art in naſſen Thon zu bilden den Griechen unbekannt, oder nicht uͤblich bey ihnen geweſen. Man weis fo gar den Nahmen desjenigen, welcher den erſten Verſuch hierinn gemacht hat. Dibutades von Sicyon iſt der erſte Meiſter einer Figur in Thon, und Arceſilaus, der Freund des groſſen Lucullus, iſt mehr durch feine Modelle in Thon, als durch feine Werke ſelbſt, berühmt worden. Er machte fuͤr den Lucullus eine Figur in Thon, welche die Gluͤckſeligkeit vorſtellete, die dieſer mit 60000, Seſterzen behandelt hat⸗ te, und der Ritter Octavius gab eben dieſem Kuͤnſtler ein Talent fuͤr ein bloſſes Modell in Gips zu einer groſſen Taſſe, die jener wolte in Gold arbeiten laſſen.
Der Thon waͤre die geſchickteſte Materie, Figuren zu bilden, wenn er feine Feuchtigkeit behielte. Da ihm aber dieſe entgehet, wenn er tro⸗ cken und gebrannt wird, ſo werden folglich die feſteren Theile deſſelben naͤ⸗ her zuſammen treten, und die Figur wird an ihrer Maaße verlieren, und einen engeren Raum einnehmen. Litte die Figur dieſe Verminderung
70 in
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 20
in gleichem Grade in allen ihren Puncten und Theilen, fo bliebe eben die⸗ ſelbe, obgleich verminderte, Verhaͤltnis. Die kleinen Theile derſelben aber werden geſchwinder trocknen, als die gröfferen, und der Leib der Fi— gur, als der ſtaͤrkſte Theil, am ſpaͤteſten; und jenen wird alſo in gleicher Zeit mehr an ihrer Maaße fehlen als dieſem. Das Wachs hat dieſe Unbequemlichkeit nicht: es verſchwindet nichts davon, und es kan demſelben die Glaͤtte des Fleiſches, die es im Pouffi- ren nicht ohne groſſe Mühe annehmen will, durch einen andern Weg ge- geben werden. ö | 1
Man machet ſein Model von En man formet es in Gips, und gieſſet es alsdenn in Wachs.
Die eigentliche Art der Griechen aber nach ihren Modellen in Meme zu arbeiten, ſcheinet nicht diejenige geweſen zu ſeyn, welche unter den mei⸗ ſten heutigen Kuͤnſtlern uͤblich iſt. In den Marmor der Alten entdecket ſich allenthalben die Gewißheit und Zuverſicht des Meiſters, und man wird auch in ihren Werken von niedrigen Range nicht leicht darthun Fön- nen, daß irgendwo etwas zu viel weggehauen worden. Dieſe ſichere und richtige Hand der Griechen muß durch beſtimmtere und zuverlaͤßigere Re⸗ geln, als die bey uns gebraͤuchlich ſind, nothwendig ſeyn gefuͤhret worden.
Der gewoͤhnliche Weg unſerer Bildhauer iſt, über ihre Modelle, nach- dem fie dieſelben wohl ausſtudiret, und aufs Beſte geformet haben, Ho: rizontal und Perpendicularlinien zu ziehen, die folglich einander durch: ſchneiden. Alsdenn verfahren ſie, wie man ein Gemaͤlde durch ein Git— ter verjuͤnget und vergröffert, und eben fo viel einander durchſchneidende Linien werden auf den Stein getragen.
D 3 Es
30 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Es zeiget alſo ein jedes kleines Viereck des Modells ſeine Flaͤchenmaaſſe auf jedes groſſe Viereck des Steins an. Allein weil dadurch nicht der coͤr— perliche Inhalt beſtimmet werden kan, folglich auch weder der rechte Grad der Erhoͤhung und Vertiefung des Modells hier gar genau zu beſchreiben iſt: fo wird der Kuͤnſtler zwar feiner. kuͤnftigen Figur ein gewiſſes Ver⸗ haͤltniß des Modells geben koͤnnen: aber da er ſich nur der Kenntnis ſei⸗ nes Auges uͤberlaſſen muß, ſo wird er beſtaͤndig zweifelhaft bleiben, ob er zu tief oder zu flach nach ſeinem Entwurf gearbeitet, ob er zu viel oder zu wenig Maſſe weg genommen.
Er kan auch weder den aͤuſſeren Umriß noch denjenigen, welcher die inneren Theile des Modells, oder diejenigen, welche gegen das Mittel zu gehen, oft nur wie mit einem Hauch anzeiget, durch ſolche Linien beſtim⸗ men, durch die er ganz untruͤglich und ohne die geringſte Abweichung eben dieſelben Umriſſe auf feinen Stein entwerfen Fönnte,
Hierzu kommt, daß in einer weitlaͤuftigen Arbeit, welche der Bild⸗ hauer allein nicht beſtreiten kan, er ſich der Hand ſeiner Gehuͤlfen bedie⸗ nen muß, die nicht allezeit geſchickt find, die Abſichten von jenem zu er⸗ reichen: Geſchiehet es, daß einmahl etwas verhauen iſt, weil unmöglich nach dieſer Art Grenzen der Tiefen koͤnnen geſetzet werden, ſo iſt der Feh⸗ ler unerſetzlich.
Ueberhaupt iſt hier zu merken, daß derjenige Bildhauer, der ſchon bey der erſten Bearbeitung ſeines Steins ſeine Tiefen bohret, ſo weit als ſie reichen ſollen, und dieſelben nicht nach und nach ſuchet, ſo, daß ſie durch die letzte Hand allererſt ihre geſetzte Hoͤhlung erhalten, daß dieſer, ſage ich, niemals wird fein Werk von Fehlern reinigen koͤnnen.
Es findet ſich auch hier dieſer Hauptmangel, daß die auf den Stein getragene Linien alle Augenblicke weggehauen, und eben ſo oft, nicht oh⸗
ne
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 3¹
Beſorgnis der Abweichung, von neuen Musen sogen und ergaͤnzt werden.
Die Ungewißheit nach dieſer Art noͤthigte alſo die Künſier, einen ſicherern Weg zu ſuchen, und derjenige, welchen die franzoͤſiſche Acade- mie in Rom erfunden, und zum Copiren der alten Statuen zuerſt gebraucht hat, wurde von vielen, auch im Arbeiten nach Modellen, angenommen. Man befeſtiget nehmlich uͤber einer Statue, die man copiren will, nach dem Verhaͤltniß derſelben, ein Viereck, von welchen man nach gleich eingetheilten Graden Bleyfaden herunter fallen laͤſſet. Durch die⸗ ſe Faden werden die aͤuſſerſten Puncte der Figur deutlicher bezeichnet, als in der erſten Art durch Linien auf der Fläche, wo ein jeder Punct der aͤuſ⸗ ſerſte iſt, geſchehen konnte: ſie geben auch dem Kuͤnſtler eine ſinnlichere Maaße von einigen der ſtaͤrkſten Erhoͤhungen und Vertiefungen durch die Grade ihrer Entfernung von Theilen, welche ſie decken, und er kan durch Huͤlfe derſelben etwas herzhafter gehen.
Da aber der Schwung einer krummen Linie durch eine einzige gerade Linie nicht genau zu beſtimmen iſt, fo werden ebenfalls die Umriſſe der Fi- gur durch dieſen Weg fehr zweifelhaft für den Kuͤnſtler angedeutet, und in geringen Abweichungen von ihrer Hauptflaͤche wird ſich derſelbe alle Augenblicke ohne Leitfaden und ohne Huͤlfe ſehen.
Es iſt ſehr begreiflich, daß in dieſer Manier auch das wahre Verhaͤlt⸗ niß der Figuren ſchwer zu finden iſt: Man ſuchet dieſelben durch Horizon⸗ tallinien, welche die Bleyfaden durchſchneiden. Die Lichtſtrahlen aber aus den Vierecken, die dieſe von der Figur abſtehende Linien machen, werden unter einem deſto groͤſſeren Winkel ins Auge fallen, folglich gröf: fer erſcheinen, je höher oder tiefer fie unſerem Sehepuncte find,
| Zum
92 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Zum Copiren der Antiquen, mit denen man nicht nach Gefallen um⸗ gehen kan, behalten die Bleyfaden noch bis itzo ihren Werth, und man hat dieſe Arbeit noch nicht leichter und ſicherer machen koͤnnen: aber im Arbeiten nach einem Modelle iſt dieſer Weg aus angezeigte Gruͤnden nicht beſtimmt genug.
Michael Angelo hat einen vor iin e genommen, und man muß ſich wundern, da ihn die Bildhauer als ihren groſſen Meiſter verehren, daß vielleicht niemand unter ihnen ſein Nachfolger geworden.
Dieſer Phidias neuerer Zeiten und der groͤßte nach den Griechen iſt, wie man vermuthen koͤnnte, auf die wahre Spur ſeiner groſſen Lehrer ge⸗ kommen, wenigſtens iſt kein anderes Mittel der Welt bekannt geworden, alle möglich finnlichen Theile und Schönheiten des Modells auf der Figur ſelbſt hinuͤber zutragen und auszudruͤcken.
Vaſari hat dieſe Erfindung deſſelben etwas unvollkommen beſchrie⸗ ben r: der Begriff nach deſſen Bericht iſt folgender: | Micha⸗
1 Vaſari Vite de’ Pittori, Scult. & Archit. edit. 1568. Part. II. p. 776. -=
“ quattro prigioni bozzati, che poſſauo inſagnare d cauare de’ marmi Ie fi-
% gure con un modo ficuro da non iflorpiare i ai, che il modo € quejlo,
“che & fi pigliafi una figura di cera d di altra materia dura, e fi met-
« teſſi a giacere in una conca d acqua, la quale acqua ejJendo per la ſua na-
c tura nella ſua fommita piana e pari, alzando la detta figura d poco d
“ poco del pari, gofi vengono d ftoprirfi prima le parti piu releuate e a na-
% foonderfi i fondi, cio& le parti piu baſſi della igura, tanto che nel fine ella
“ cofi viene ſcoperta tutta. Mel medeſimo modo f debbono cauare con lo
0 cas Pello le figure de marmi, prima ſcopr endo le parti piu rileuate, e di
mano in mano le piu baſſe, il quale modo fi vede offervato da Michel Agno-
jo ne fopra detti prigioni, i quali Sua Eccellenza vuole, che fervine 6 per eſempio de ſuoi Accademici.
—
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 33
Michael Angelo nahm ein Gefaͤß mit Waſſer, in welches er ſein Mo⸗ dell von Wachs oder von einer harten Materie legte: Er erhoͤhete daſſel⸗ be allmaͤhlig bis zur Oberflaͤche des Waſſers. Alſo entdeckten ſich zuerſt die erhabenen Theile, und die vertieften waren bedeckt, bis endlich das ganze Modell blos und auſſer dem Waſſer lag. Auf eben die Art, ſagt Vaſari, arbeitete Michael Angelo ſeinen Marmor: er deutete zuerſt die erhabenen Theile an, und nach und nach die tleferen. 5
Es ſcheinet, Vaſari habe entweder von der Manier ſeines Freundes nicht den deutlichſten Begrif gehabt, oder die Nachlaͤßigkeit in ſeiner Er⸗ zehlung verurſachet, daß man ſich dieſelbe etwas uschi von dem,
was er berichtet, vorſtellen muß.
Die Form des Waſſersgefäßes it hier nicht deutlich genug beſtimmet. Die nach und nach geſchehene Erhebung feines Modells auſſer dem Waſ⸗ fer von unten auf, wuͤrde ſehr muͤhſam ſeyn, und ſetzet viel mehr voraus, als uns der Geſchichtſchreiber der Kuͤnſtler hat wollen wiſſen laſſen.
Man kan uͤberzeugt ſeyn, daß Michael Angelo dieſen von ihm erfun⸗ denen Weg werde aufs moͤglichſte ausſtudiret, und ſich bequem gemacht haben. Er iſt aller Wahrſcheinlichkeit nach folgendergeſtalt verfahren:
Der Kuͤnſtler nahm ein Gefaͤß nach der Form der Maſſe zu ſeiner Figur, die wir ein langes Viereck ſetzen wollen. Er bezeichnete die Ober⸗ fläche der Seiten dieſes viereckigten Kaſtens mit gewiſſen Abtheilungen, die er nach einem vergröfierten Maaßſtabe auf feinen Stein hinuͤber trug, und auſſer dem bemerkte er die inwendigen Seiten beſſelben von oben bis auf den Grund mit gewiſſen Graden. In dem Kaſten legte er ſein Mo⸗ dell von ſchwerer Materie, oder befeſtigte es an dem Boden, wenn es von Wachs war. Er beſpannete etwa den Kaſten mit einem Gitter
E nach
34 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke nach den gemachten Abtheilungen, nach welchen er Linien auf ſeinen Stein zeichnete, und vermuthlich unmittelbar hernach ſeine Figur. Auf das Modell goß er Waſſer, bis es an die aͤuſſerſten Puncte der erhabenen Theile reichete, und nachdem er denjenigen Theil bemerket hatte, der auf ſeiner gezeichneten Figur erhoben werden muſte, ließ er ein gewiſſes Maaß Waſſer ab, um den erhobenen Theil des Modells etwas weiter hervor gehen zu laſſen, und fieng alsdenn an dieſen Theil zu bearbeiten, nach der Maaße der Grade, wie er ſich entdeckte. War zu gleicher Zeit ein ande⸗ rer Theil ſeines Modells ſichtbar geworden, ſo wurde er auch, ſo weit er blos war, bearbeitet, und ſo verfuhr er mit allen erhabenen Theilen.
Es wurde mehr Waſſer abgelaſſen, bis auch die Vertiefungen her⸗ vor lagen. Die Grade des Kaſtens zeigten ihm allemahl die Höhe des gefallenen Waſſers, und die Fläche des Waſſers die aͤuſſerſte Grundlinie
der Tiefen an. Eben ſo viel Grade 3 ſeinem Steine waren 1 wah⸗ ren Maaße.
Das Waſſer beſchrieb ihm nicht allein die Hoͤhen und Defen, ee auch den Contour feines Modells; und der Raum von den inneren Sei- ten des Kaſtens bis an den Umriß der Linie des Waſſers, deſſen Gröffe die Grade der anderen zwey Seiten gaben, war in jedem Puncte das Maaß, wie viel er von ſeinem Steine wegnehmen konnte. 5
Sein Werk hatte nunmehr die erſte aber eine richtige Form erhalten. Die Fläche des Waſſers hatte ihm eine Linie beſchrieben, von welcher die auſſerſten Puncte der Erhobenheiten Theile find, Dieſe Linie war mit dem Falle des Waſſers in feinem Gefaͤſſe gleichfalls wagerecht fortgeruͤcket, und der Kuͤnſtler war dieſer Bewegung mit ſeinem Eiſen gefolget, bis da⸗ hin, wo ihm das Waſſer den niedrigſten Abhang der erhabenen Theile,
der
in der Malerey und Bildhauerkunſt. RS
der mit den Flaͤchen zuſammen fließt, blos zeigete. Er war alſo mit je⸗ dem verjuͤngten Grade in dem Kaſten feines. Modells einen gleich gefegten groͤſſeren Grad auf feiner Figur fortgegangen, und auf dieſe Art hatte ihn die Linie des Waſſers bis uͤber den aͤuſſerſten Contour in ſeiner Arbeit gefuͤhret, fo daß das Modell nunmehro vom Waſſer entblößt lag.
Seine Figur verlangte die ſchoͤne Form. Er goß von neuem Waſſer auf ſein Modell, bis zu einer ihm dienlichen Hoͤhe, und alsdenn zehlete er die Grade des Kaſtens bis auf die Linie, welche das Waſſer beſchrieb, wodurch er die Höhe des erhabenen Theils erſahe. Auf eben denſelben er⸗ habenen Theil ſeiner Figur legte er fein Richtſcheid vollkommen wagerecht, und von der unterſten Linie deſſelben nahm er die Maaße bis auf die Ver⸗ tiefung. Fand er eine gleiche Anzahl verjuͤngter und groͤſſerer Grade, ſo war dieſes eine Art geometriſcher Berechnung des Inhalts, und er erhielt den Beweis, daß er richtig verfahren war.
Bey der Wiederholung feiner Arbeit ſuchte er den Druck und die Be- wegung der Muskeln und Sehnen, den Schwung der uͤbrigen kleinen Theile, und das Feinſte der Kunſt, in ſeinem Modelle, auch in ſeiner Figur auszufuͤhren. Das Waſſer, welches ſich auch an die unmerklich⸗ ſten Theile legte, zog den Schwung derſelben aufs ſchaͤrfſte nach, und beſchrieb ihm mit der richtigſten Linie den Contour derſelben.
* Dieſer Weg verhindert nicht, dem Modelle alle moͤgliche Lagen zu ge⸗ ben. Ins Profil geleget, wird es dem Kuͤnſtler vollends entdecken, was er uͤberſehen hat. Es wird ihm auch den aͤuſſeren Contour feiner erhabe⸗ nen und ſeiner inneren Theile und den ganzen Durchſchnitt zeigen.
Ee, | Al⸗
36 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Alles dieſes und die Hoffnung eines guten Erfolgs der Arbeit ſetzet ein Model voraus, welches mit Haͤnden der Kunſt nach dem wahren Ge⸗ ſchmack des Alterthums gebildet worden. 0
Dieſes iſt die Bahn, auf welcher Michael Angelo bis zur Unſterblich⸗ keit gelauget iſt. Sein Ruff und feine b erlaubeten . Mu⸗ ſe, mit ſolcher Sorgfalt zu arbeiten. *
Ein Kuͤnſtler unſerer Zeiten, dem Natur und Fleiß Gaben ach höher zu ſteigen, und welcher Wahrheit und Richtigkeit in dieſer Manier findet, ſieht ſich genoͤthiget, mehr nach Brod, als nach Ehre, zu arbei⸗ ten. Er bleibet alſo in dem ihm üblichen Gleiſe, worinn er eine gröͤſſere Fertigkeit zu zeigen glaubet, und faͤhret fort, ſein durch langwierige Ue⸗ bung erlangtes Augenmaaß zu ſeiner Regel zu nehmen.
Dieſes Augenmaaß, welches ihn vornehmlich fuͤhren muß, iſt endlich durch practiſche Wege, die zum Theil fehr zweifelhaft find, ziemlich ent- ſcheidend worden: wie fein und zuverlaͤßig wuͤrde er es gemacht haben, wenn er es von Jugend auf nach untruͤglichen Regeln gebildet hätte?
Winden angehende Kuͤnſtler bey der erften Anführung, in Thon oder in andere Materie zu arbeiten, nach dieſer ſichern Manier des Michael Angelo angewieſen, die dieſer nach langem Forſchen gefunden, ſo konnten ſie hoffen, ſo nahe, wie er, den Griechen zu kommen.
Alles was zum Preiß der griechiſchen Werke in der Bidhauertunſ kan geſaget werden, ſolte nach aller Wahrſcheinlichkeit auch von der Ma⸗ lerey der Griechen gelten. Die Zeit aber und die Wuth der Menſchen hat 25 die Mittel gabe einen anumftößlichen Ausſpruch daruͤber zu thun.
Man geſtehet den griechiſchen Malern Zeichnung und Ausdruck er und das iſt alles: Perſpectiv, Compoſition und Colorit ſpricht man ihnen
i ab.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 37
ab. Dieſes Urtheil gruͤndet ſich theils auf halb erhobene Arbeiten, theils auf die entdeckten Malereyen der Alten (der Griechen kan man nicht ſagen) in und bey Rom, in unterirdiſchen Gewoͤlbern der Pallaͤſte des Maͤcenas, des Titus, „ der Antoniner, von welchen nicht viel über dreyßig bis itzo ganz erhalten worden, und einige ſind nur in moſaiſcher Arbeit.
Turnbull hat feinem Werke von der alten Malerey eine Samm⸗ lung der bekannteſten Stuͤcke, von Camillo Paderni gezeichnet, und von Monde geſtochen, beygefuͤget, welche dem praͤchtigen und gemißbrauch⸗ ten Papier ſeines Buchs den einzigen Werth geben. Unter denſelben ſind zwey, wovon die Originale ſelbſt in dem Cabinet des beruͤhmten Arztes Richard Meads in Londen ſind.
Daß Poußin nach der fo genannten Aldrovandiniſchen Hochzeit ſtu— diret; daß ſich noch Zeichnungen finden, die Annibal Caraccio nach dem vorgegebenen Marcus Coriolanus gemacht; und daß man eine groſſe Gleichheit unter den Koͤpfen in Guido Reni Werken, und unter den Koͤpfen auf der bekannten moſaiſchen Entfuͤhrung der Europa, hat fin⸗ den wollen, iſt bereits von andern bemerket.
Wenn dergleichen Freſcogemaͤlde ein gegruͤndetes Urtheil von der Ma⸗ lerey der Alten geben konnen; fo würde man den Kuͤnſtlern unter ihnen aus Ueberbleibſeln von dieſer Art auch die Zeichnung und den Ausdruck ſtreitig machen wollen.
Die von den Waͤnden des herculaniſchen Theaters mit ſamt der Mau⸗
er verſetzte Malereyen mit Figuren in Lebensgroͤſſe, geben uns, wie man
verſichert, einen ſchlechten Begrif davon. Der Theſeus, als ein Ueber:
winder des Minotauren, wie ihm die jungen Athenienſer die Haͤnde kuͤſ⸗
ſen und ſeine Knie umfaſſen: die Flora nebſt den Hercules und einem
85 8 E3 Faun: a Turnbull s Treotife on ancient un; 1740. fol. |
3 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Faun: der vorgegebene Gerichtsſpruch des Decemvirs Appius Claudius, ſind nach dem Augenzeugniß eines Kuͤnſtlers zum Theil mittelmaͤßig, und zum Theil fehlerhaft gezeichnet. In den mehreſten K Koͤpfen iſt, wie man verſichert, nicht allein kein Ausdruck, ſondern in be Claudius find auch keine guten Charactere. . 0
Aber eben dieſes beweiſet, daß es Malereyen von der Hand ſehr mit⸗ telmaͤſſiger Meiſter find; da die Wiſſenſchaft der ſchoͤnen Verhaͤltniſſe, der Umriſſe der Koͤrper, und des Ausdrucks bey griechiſchen n auch ihren guten Malern eigen geweſen ſeyn muß. 4
Dieſe den alten Malern zugeſtandene Theile der Kunſt aſen den neu⸗ ern Malern noch ſehr viel Verdienſte um dieſelbe.
In der Perſpectiv gehdret ihnen der Vorzug unſtreitig, und er bleibt, bey aller gelehrten Vertheidigung der Alten, in Anſehung dieſer Wiſſen⸗ ſchaft, auf Seiten der Neueren. Die Geſetze der Compoſition und Or⸗ donnance waren den Alten nur zum Theil und unvollkommen bekannt; wie die erhobenen Arbeiten von Zeiten, wo die mh Künfte in Rom gebluͤhet, darthun koͤnnen.
In der Colorit ſcheinen die Nachrichten in den Schriften 1er Alten und die Ueberbleibſel der alten Malerey auch zum Vortheil der neuern er ler zu entſcheiden.
Verſchiedene Arten von Vorſtelungen der Malerey ins gleichfalls zu zu einen höheren Grad der Vollkommenheit in neuern Zeiten gelanget. In Viehſtüͤcken und Landſchaften haben unſere Maler allem Anſehen nach die alten Maler uͤbertroffen. Die ſchoͤnern Arten von Thieren unter andern Himmelſtrichen ſcheinen ihnen nicht bekannt geweſen zu ſeyn; wenn man aus einzelnen Faͤllen, von dem Pferde des Marcus Aurelius, von den beyden * in Monte Cavallo, ja von den vorgegebenen lyſippiſchen
Pfer⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 39
Pferden uͤber dem Portal der S. Marcuskirche in Venedig, von dem farneſiſchen Ochſen und den uͤbrigen Thieren dieſes Gruppo, fehlieffen darf. Es iſt hier im Vorbeygehen anzufuͤhren, daß die alten bey ihren Pfer⸗ den die diametraliſche Bewegung der Beine nicht beobachtet haben, wie an den Pferden in Venedig und auf alten Muͤnzen zu ſehen iſt. Einige deuere find ihnen hierinn aus Unwiſſenheit gefolget, und fo gar verthei— diget worden. ö
Unſere Landſchaften, ſonderlich der W wichen Maler, haben ihre Schoͤnheit vornehmlich dem Oelmalen zu danken: ihre Farben haben dadurch mehrere Kraft, Freudigkeit und Erhobenheit erlanget, und die
ratur ſelbſt unter einem dickern und feuchtern Himmel hat zur Erweite⸗ rung der Kunſt in dieſer Art nicht wenig beygetragen.
Es verdienten die angezeigten und einige andere Vorzuͤge der neu— ern Maler vor den alten, in ein groͤſſeres Licht, durch gruͤndlichere Be: weiſe, als noch bisher geſchehen iſt, geſetzet zu werden.
Zur Erweiterung der Kunſt iſt noch ein groſſer Schritt uͤbrig zu thun. Der Kuͤnſtler, welcher von der gemeinen Bahn abzuweichen an- faͤngt, oder wirklich abgewichen iſt, ſuchet dieſen Schritt zu wagen; aber ſein Fuß bleibet an dem jaͤheſten Orte der Kunſt ſtehen, und hier ſiehet er ſich huͤlflos.
Die Geſchichte der Heiligen, die Fabeln und EM find der ewige und faſt einzige Vorwurf der neuern Maler feit einigen Jahrhun⸗ derten: Man hat fie auf tauſenderley Art gewandt und ausgekuͤnſtelt, daß endlich Ueberdruß und Eckel den Weiſen in 1 der Kunſt und den Kenner überfallen muß.
Ein Kuͤnſtler, der eine Seele hat, die denken gelernet, läßt dieſelbe muͤßig und ohne Beſchaͤftigung bey einer Daphne und bey einem Apollo;
bey
*
40 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
bey einer Entführung der Proſerpina, einer Europa und bey dergleichen. Er ſuchet ſich als einen Dichter zu W „und Figuren dureh Bilder, das iſt, allegoriſch zu malen.
Die Malerey erſtreckt ſich auch auf Dinge, ble nicht ſinnlich Fb dieſe find ihr hoͤchſtes Ziel, und die Griechen haben ſich bemuͤhet, daſſel⸗ be zu erreichen, wie die Schriften der Alten bezeugen. Parrhaſius, ein Maler, der wie Ariſtides die Seele ſchilderte, hat ſo gar, wie man fagt, den Character eines ganzen Volks ausdruͤcken konnen. Er malete die Athenienſer, wie ſie gütig und zugleich grauſam, leichtſinnig und zugleich hartnäckig, brav und zugleich feige waren. Scheinet die Vorſtellung möglich, ſo iſt fie es nur allein durch den Weg der a * Bil⸗ der, die allgemeine Begriffe bedeuten.
Der Kuͤnſtler befindet ſich hier wie in einer Einoͤde. Die 9 der wilden Indianer, die einen groſſen Mangel an der gleichen Begriffen haben, und die kein Wort enthalten, welches Erkentlichkeit, Raum, Dauer u. ſ. w. bezeichnen koͤnnte, find nicht leerer von ſolchen Zeichen, als es die Malerey zu unſeren Zeiten iſt. Derjenige Maler, der weiter den⸗ ket als feine Palette reichet, wuͤnſchet einen gelehrten Vorrath zu haben, wohin er gehen, und bedeutende und ſinnlich gemachte Zeichen von Din⸗ gen, die nicht ſinnlich find, nehmen koͤnnte. Ein vollſtaͤndig Werk in die⸗ ſer Art iſt noch nicht vorhanden: die bisherigen Verſuche ſind nicht betraͤcht⸗ lich genug, und reichen nicht bis an dieſe groſſe Abſichten. Der Kuͤnſt⸗ ler wird wiſſen, wie weit ihm des Ripa Iconologie, die Denkbilder der alten Volker von van Hooghe Gnuͤge thun werden. 5
Dieſes iſt die Urſach, daß die größten Maler nur bekannte Vor⸗ wife gewaͤhlet. Annibal Caraccio, an ſtatt, daß er die beruͤhmteſten Thaten und Begebenheiten des Hauſes Farneſe in der farneſiſchen Gal⸗
lerie,
in der Malerey und Vildhauerkunſt. PT
lerie, als ein allegoriſcher Dichter durch allgemeine Symbola und durch ſinnliche Bilder Hätte vorſtellen koͤnnen, hat hier feine ganze Staͤrke blos in bekannten Fabeln gezeiget.
Die Koͤnigliche Gallerie der Schildereyen in Dreßden enthaͤlt ohne Zweifel einen Schatz von Werken der groͤßten Meiſter, der vielleicht alle Gallerien in der Welt uͤbertrift, und Se. Majeſtaͤt haben, als der wei- ſeſte Kenner der ſchoͤnen Kuͤnſte, nach einer ſtrengen Wahl nur das Boll: kommenſte in ſeiner Art geſuchet; aber wie wenig hiſtoriſche Werke findet man in dieſem Koͤniglichen Schatze! von allegoriſchen, von dachten ehen Ge⸗ maͤlden noch weniger.
Der groſſe Rubens iſt der vorzuͤglichſte unter groſſen Malern, der ſich auf den unbetretenen Weg dieſer Malerey in groſſen Werken als ein erhabener Dichter, gewaget. Die luxenburgiſche Gallerie, als fein größ: tes Werk, iſt durch die Hand der geſchickteſten Kupferſteher der ganzen Welt bekannt worden.
Nach ihm iſt in neueren Zeiten nicht leicht ein erhabeners Werk in die⸗ ſer Art unternommen und ausgefuͤhret worden, dergleichen die Cuppola der kaiſerlichen Bibliothec in Wien iſt, von Daniel Gran gemalet, und von Sedelmayern in Kupfer geſtochen. Die Vergoͤtterung des Hercules in Verſailles, als eine Alluſion auf den Cardinal Hercules von Fleuri, von Le Moine gemalet, womit Frankreich als mit der groͤßten Compoſi⸗ tion in der Welt pranget, iſt gegen die gelehrte und ſinnreiche Malerey des deutſchen Kuͤnſtlers eine ſehr gemeine und kurzſichtige Allegorie: ſie iſt wie ein Lobgedicht, worinn die ſtaͤrkſten Gedanken ſich auf den Nahmen im Calender beziehen. Hier war der Ort, etwas Groſſes zu machen, und man muß ſich wundern, daß es nicht geſchehen iſt. Man ſiehet aber auch zugleich ein, hätte auch die Vergoͤtterung eines Miniſters den vor—
F naehm⸗
42 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
nehmſten Plafond des koͤniglichen Schloſſes zieren ſollen, woran es dem Maler gefehlet.
Der Kuͤnſtler hat ein Werk vonndthen, welches aus der ganzen My⸗ thologie, aus den beſten Dichtern alter und neuerer Zeiten, aus der ge⸗ heimen Weltweisheit vieler Voͤlker, aus den Denkmalen des Alterthums auf Steinen, Münzen und Geraͤthen diejenige ſinnliche Figuren und Bil: der enthaͤlt, wodurch allgemeine Begriffe dichteriſch gebildet worden. Dieſer reiche Stoff wuͤrde in gewiſſe bequeme Claſſen zu bringen, und durch eine beſondere Anwendung und Deutung auf mögliche einzelne Fr le, zum Unterricht der Kuͤnſtler, einzurichten ſeyn.
Hierdurch wuͤrde zu gleicher Zeit ein groſſes Feld gedfnet, zur Nach⸗ ahmung der Alten, und unſern Werken einen erhabenen Geſchmack des Alterthums zu geben.
Der gute Geſchmack in unſern heutigen Verzierungen, welcher ſeit der Zeit, da Vitruv bittere Klagen über das Verderbniß deſſelben führe: te, ſich in neueren Zeiten noch mehr verderbet hat, theils durch die von Morto, einem Maler von Feltro gebuͤrtig, in Schwang gebrachte Grot⸗ tesken, theils durch nichts bedeutende Malereyen unſerer Zimmer, koͤnnte | zugleich durch ein gruͤndlicheres Studium der Allegorie gereiniget werden, und Wahrheit und Verſtand erhalten. *
Unſere Schnirkel und das allerliebſte Muſchelwerk, ohne welches itzo keine Zierrath foͤrmlich werden kan, hat manchmahl nicht mehr Natur als Vitruvs Leuchter, welche kleine Schlöffer und Pallaͤſte trugen. Die Allegorie koͤnnte eine Gelehrſamkeit an die Hand geben, auch die kleinſten Verzierungen dem Orte, wo fie ſtehen, gemäß zu machen.
Reddere perſonæ feit conuenientia cuique. n O R.
Die
—
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 43
Die Gemaͤlde an Decken und uͤber den Thuͤren ſtehen mehrentheils nur da, um ihren Ort zu fuͤllen, und um die ledigen Plaͤtze zu decken, welche nicht mit lauter Vergoͤldungen koͤnnen angefuͤllet werden. Sie haben nicht allein kein Verhaͤltniß mit dem Stande und mit den Umſtaͤn⸗ den des Beſitzers, ſondern ſie ſind demſelben ſo gar oftmals nachtheilig.
Der Abſcheu vor den leeren Raum fuͤllet alſo die Waͤnde; und Ge⸗ maͤlde von Gedanken leer, ſollen das Leere erſetzen.
Dieſes iſt die Urſach, daß der Kuͤnſtler, dem man feiner Willkuͤhr uͤberlaͤßt, aus Mangel allegoriſcher Bilder oft Vorwuͤrfe waͤhlet, die mehr zur Satire, als zur Ehre desjenigen, dem er ſeine Kunſt weihet, gereichen muͤſſen: und vielleicht, um ſich hiervor in Sicherheit zu ſtellen / verlanget man aus ſeiner Vorſicht von dem Maler, Bilder zu machen, die nichts bedeuten ſollen. |
Es macht oft Mühe, auch dergleichen zu finden, und endlich
- * velut ægri ſomnia, vanæ Fingentur ſpecies. | HOR,
Man benimmt alfo der Malerey dasjenige, worinn ihr groͤſtes Gluͤck beſtehet, nehmlich die Vorſtellung unſichtbarer, vergangener und zukuͤnf⸗ tiger Dinge.
Diejenigen Malereyen aber, welche an dieſem oder jenem Orte bedeu⸗ tend werden koͤnnten, verliehren das, was ſie thun wuͤrden, durch einen gleichguͤltigen oder unbequemen Platz, den man ihnen anweiſet.
Der Bauherr eines neuen Gebaͤudes
Dives agris, dives poſitis in ſœnere nummis. HO R. wird vielleicht über die hohen Thuͤren feiner Zimmer und Säle kleine Bil— der ſetzen laſſen, die wider den Augenpunct und wider die Gruͤnde der
N F 2 Per⸗
44 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Perſpectiv anſtoßen. Die Rede iſt hier von ſolchen Stuͤcken, die ein Theil der feften und unbeweglichen Zierrathen find; nicht von ſolchen, die in einer Sammlung nach der Symmetrie geordnet werden.
Die Wahl in Verzierungen der Baukunſt iſt zuweilen nicht gruͤndli⸗ cher: Armaturen und Tropheen werden allemahl auf ein Jagdhaus eben ſo unbequem ſtehen, als Ganymedes und der Adler, Jupiter und Leda unter der erhobenen Arbeit der Thuͤren von Erzt, am Eingang der St. Peterskirche in Rom.
Alle Kuͤnſte haben einen gedoppelten Endzweck: fie ſollen vergnügen und zugleich unterrichten, und viele von den groͤßten Landſchaftmalern haben daher geglaubet, ſie wuͤrden ihrer Kunſt nur zur Haͤlfte ein Genuͤ⸗ ge gethan haben, wenn ſie ihre Landſchaften e alle Figuren selafen hatten,
Der Pinſel, den der Kuͤnſtler führer, ſoll im Verſtand getunkt ſeyn, wie jemand von dem Schreibegriffel des Ariſtoteles geſaget hat: Er ſoll mehr zu denken hinterlaſſen, als was er dem Auge gezeiget, und dieſes wird der Kuͤnſtler erhalten, wenn er ſeine Gedanken in Allegorien nicht zu verſtecken, ſondern einzukleiden gelernet hat. Hat er einen Vorwurf, den er ſelbſt gewaͤhlet, oder der ihm gegeben worden, welcher dichteriſch gemacht, oder zu machen iſt, fo wird ihn feine Kunſt begeiſtern, und wird das Feuer, welches Prometheus den Göttern 1 in ihm er⸗ wecken. Der Kenner wird zu denken haben, und der bloße Liebhaber wird es lernen.
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uͤber die Gedanken
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in der
= und Bildhauerkunſt.
AS Mein Freund!
. LS, ie haben von den Kuͤnſten und von den Künſtlern der . Griechen geſchrieben, und ich haͤtte gewuͤnſcht, daß Sie mit ihrer Schrift, wie die griechiſchen Kuͤnſtler mit ihren Werken, verfahren wären. Sie ftelleten fie den
= Augen aller Welt und fonderlich der Kenner blos, ehe fie. dieſelben aus den Haͤnden lieſſen, und ganz Griechenland urtheilete uber ihre Werke in den groſſen Spielen, ſonderlich in den Olympiſchen. Sie wiſſen, daß Aetion ſein Gemaͤlde von Alexanders Vermaͤhlung mit der Roxane dahin brachte. Sie hätten mehr als einen Proxenides, der dort a den
48 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke den Kuͤnſtler richtete, noͤthig gehabt. Wenn ſie nicht gar zu heimlich mit ihrer Schrift geweſen waͤren, fo hätte ich dieſelbe, ohne den Namen des Ver⸗ faſſers zu melden, einigen Kennern und Gelehrten, mit denen ich hier in Bekantſchaft gekommen bin, vor dem Druck mittheilen wollen.
Einer von ihnen hat zweymal Italien und die Gemälde der größten Meiſter an dem Orte ſelbſt, wo ſie gemacht ſind, ganze Monate ein jedes angeſehen. Sie wiſſen, daß man allein auf dieſe Art ein Kenner wird. Ein Mann der ihnen fo gar zu ſagen weiß, welche von Guido Reni Al— tarblaͤttern auf Taffend oder auf Leinwand gemalet ſind; was vor Holz Raphael zu ſeinen Kransfiguration genommen, u. ſ. w. deſſen Ur⸗ theil, glaube ich, wuͤrde entſcheidend geweſen ſeyn!
Ein anderer unter meinen Bekanten hat das Alterthum ſtudiret: er kennet es am Geruche;
Callet & artificem ſolo deprendere odore. „ Sectani Sat. er weiß wie viel Knoten an der Kaͤule des Hercules geweſen ſind; wie viel des Neſtors Becher nach dem heutigen Maas enthalten: ja man ſagt, er werde endlich im Stande ſeyn, alle die Fragen zu beantworten, welche Kaiſer Tiberius den Sprachlehrern vorgeleget hat.
Noch ein anderer hat ſeit vielen Jahren nichts als alte Muͤnzen ange⸗ ſehen. Er hat viel neue Entdeckungen gemacht, ſonderlich zu einer Ge⸗ ſchichte der alten Muͤnzmeiſter; und man ſagt, er werde die Welt auf⸗ merkſam machen durch einen Vorlaͤufer von den Muͤnzmeiſtern der Stadt Cyzicum. |
Wie ſicher wuͤrden Sie gefahren ſeyn, wenn ihre Arbeit vor den Rich⸗ terſtuhl ſolcher Gelehrten waͤre gebracht worden! Dieſe Herren haben mir
ihre
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 49
ihre Bedenken uͤber dieſelbe eröfnet: es iſt mir leid um Ihre Ehre, wenn dergleichen öffentlich erſcheinen folten.
Unter andern Einwuͤrfen wundert ſich der erſte, daß Sie die beyden Engel auf dem Raphael der Koͤniglichen Gallerie zu Dreßden nicht be— ſchrieben haben. Man hat ihm geſagt, daß ein Maler von Bologna, da er dieſes Stück zu St. Sixt in Piacenz geſehen, voller Verwunderung in einem Briefe ausruft; „O! was vor ein Engel aus dem Paradieſe,,! Dieſes deutet er auf dieſe Engel, und er behauptet, daß es die ſchoͤnſten Figuren in Raphaels Werke ſeyn.
Er koͤnnte Ihnen auch vorwerfen, der Raphael ſey in der Art beſchrie— ben, wie Raguenet? einen H. Sebaſtian von Beccafumi, einen Her⸗ cules mit dem Antaͤus von Lanfranc u. ſ. w. ſchildert.
Der zweyte glaubet, der Bart des Laocoons hätte eben fo viel Auf: merkſamkeit in Ihrer Schrift als der eingezogene Leib deſſelben verdienet. Ein Kenner der Werke der Griechen, ſagt er, muß den Bart des Lay: coons mit eben den Augen anſehen, mit welchen der P. Labat den Bart des Moſes von Michael Angelo angeſehen hat.
Dieſer erfahrne Dominicaner,
Qui mores hominum multorum vidit & vrbes, hat nach ſo vielen Jahrhunderten aus dem Barte der Statue bewieſen, wie Moſes ſeinen Bart getragen, und wie die Juden denſelben tragen muͤſſen, wenn fie wollen Juden heiffen 3. | |
Letter d alcuni Bologneſi Vol. I. p. 159.
® Raguenet Monumens de Rome, Paris, 12.
Labat V’oyag. en Efpagne & en Ital. T. III. p. 23. — Michel Ange
etoit auſſi favant dans I’ Antiquit€ que dans J Anatomie, la Sculpture,
la Peinture & I Architecture, & puisqu il nous a reprefent€ Moyfe
G avec
50 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Sie haben nach dieſes Mannes Meinung ohne alle gelehrte Kentniß don dem Peplon der Veſtalen geſchrieben: an der Beugung des Schley⸗ ers uͤber der Stirn der größten Veſtale hatte er Ihnen vielleicht eben fo viel entdecken koͤnnen, als Cuper von der Spitze! des Schleyers an der Figur der Tragoedie auf der berühmten Vergoͤtterung des Homers geſagt hat.
Es fehlet auch der Beweis, daß die Veſtalen wirklich von der Hand eines griechiſchen Meiſters ſind. Unſer Verſtand bringt uns ſehr oft nicht auf Sachen die uns natuͤrlich einfallen ſolten. Wenn man Ihnen bewei⸗ ſen wird, daß der Marmor zu dieſen Figuren nicht Lychnites geweſen, ſo kann es nicht fehlen, die Veſtalen verlieren nebſt Ihrer Schrift einen groſſen Wehrt. Sie hätten nur fagen duͤrfen, der Marmor habe groſſe Koͤrner: Beweis genug uͤber eine griechiſche Arbeit; wer wird Ihnen ſo leicht darthun koͤnnen, wie groß die Körner ſeyn muͤſſen, um einen grie⸗ chiſchen Marmor von dem Marmor von Luna, den die alten Roͤmer nah⸗ men, zu unterſcheiden. Ja, was noch mehr iſt, man will fie nicht ein: mahl vor Veſtalen halten.
Der Muͤnzverſtaͤndige hat mir von Koͤpfen der Lia und der Agrip⸗ pina geſagt, welche das von Ihnen angegebene Profil nicht haben. An
die⸗
avec une belle & fi longue barbe, il eſt für & doit paſſer pour con- ftant, que ce Proph£te !a portoit ainſi, & par une conſequence neceſſaire les Juifs, qui pretendent le copier avec exactitude, & qui font la plus grande partie de leur religion de] obfervance des uſages, qu'il a laiſſe, doivent avoir de la barbe comme lui, ou renoncer à la qualité des Juifs.
®” Apotheos. Homeri. p. 81. 82.
in der Malerey und 2 Bilohar derkunſt. 51
dieſem Orte, meinet er, haͤtten Sie die ſchonſte Gelegenheit gehabt, von dem, was die Alten eine viereckigte Naſe nennen, zu reden, welches zu Ih⸗ ren Begriffen von der Schönheit gehöret haͤtte. Unterdeſſen wird Ihnen bekannt ſeyn, daß die Naſe an einigen der beruͤhmteſten griechiſchen Sta⸗ tuen, als an der mediceiſchen Venus, und an den picchiniſchen Meleager viel zu dicke ſcheinet, als daß ſie unſern Kuͤnſtlern ein Muſter der b nen Natur ſeyn koͤnnte.
Ich will Sie nicht kraͤnken mit viel Zweifeln und Einwuͤrfen, die wider Ihre Schrift vorgebracht ſind, und welche zum Eckel wiederholet wurden, da ein academiſcher Gelehrter, der den Character des homeriſchen Mar: gites zu erlangen ſtrebet, dazu kam. Man zeigte ihm die Schrift; er ſahe fie an und legte fie weg. Der erſte Blick war ihm alſo ſchon anftöflig geweſen, und man ſahe es ihm an, daß er um ſein Urtheil befragt ſeyn wolte, welches wir alle thaten. Es ſcheinet eine Arbeit, fieng er an, uͤber welche ſich des Verfaſſers Fleiß nicht in Unkoſten hat ſetzen wollen: ich finde nicht über vier bis fünf Allegata, und dieſe ſind zum Theil nachläffig angegeben, ohne Blatt und Capitel zu bemerken. Es kann nicht fehlen f er hat feine Nachrichten aus Büchern genommen, die er ſich anzuführen
ſchaͤmet.
Endlich muß ich Ihnen ſagen, daß jemand etwas in der Schrift will gefunden haben, was mir noch itzo in derſelben verdeckt geblieben iſt; nemlich, daß die Griechen als, die Erfinder der Malerey und Bildhauer⸗ kunſt angegeben worden; welches ganz falſch iſt, wie ſich derſelbe zu er⸗ klaͤren beliebet. Er hat gehöret, daß es die Egypter geweſen, oder noch ein älter Volk, welches er nicht kenne. |
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52 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Man kann auch aus den unerheblichſten Einfaͤllen Nutzen ziehen: un— terdeſſen iſt klar, daß Sie nur allein von dem guten Geſchmacke in dieſen Kuͤnſten haben reden wollen, und die erſte Erfindung einer Kunſt ver⸗ haͤlt ſich mehrentheils zu dem Geſchmacke in derſelben, wie das Saamen⸗ korn zu der Frucht. Man kann die Kunſt in der Wiege unter den Egyp⸗ tern in ſpaͤteren Zeiten, und die Kunſt in ihrer Schönheit unter den Grie⸗ chen auf ein und eben demſelben Stuͤcke vergleichen. Man betrachte den Ptolomaͤus Philopator von der Hand des Aulus, auf einem geſchnittenen Steine, und neben beſagten Kopfe ein paar Figuren! eines egyptiſchen Meiſters, um das geringe Verdient ſeiner Nation um dieſe Kuͤnſte einzu: ſehen. |
Die Form und den Geſchmack ihrer Gemaͤlde haben Middleton ? und andere beurtheilet. Die Gemaͤlde von Perſonen in Lebensgroͤſſe auf zwo Mumien in dem Königlichen Schatze der Alterthuͤmer zu Dreßden geben von der elenden Malerey der Egypter deutliche Beweiſe. Dieſe beyden Koͤr⸗ per ſind unterdeſſen unter mehr als einem Umſtande merkwuͤrdig, und ich werde meinem Schreiben eine kleine Nachricht von denſelben beyfuͤgen.
Ich kann nicht leugnen, mein Freund, ich muß dieſen Erinnerungen zum Theil Recht widerfahren laſſen. Der Mangel angefuͤhrter Schriften gereichet Ihnen zu einigem Vorurtheil: die Kunſt aus blauen Augen ſchwar⸗ ze zu machen haͤtte wenigſtens ein Allegatum verdienet. Sie machen es faſt wie Democritus; Was iſt der Menſch? fragte man ihn: etwas das wir alle wiſſen, antwortete er. Welcher vernuͤnftige Menſch kann alle griechiſche Scholiaſten leſen! |
2 Stofrh Pierr. grab. pl. XIX.
® Monum. antiquit. p. 255. Ibid
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 5; bit eo, N qui zonam perdidit — Horat.
Dieſe Erinnerungen haben mich unterdeſſen veranlaſſet, die Schrift mit einem andern Auge, als vorher geſchehen war, durchzugehen. Man iſt insgemein gar zu geneigt, der Waage durch das Gewicht der Freund— ſchaft oder des Gegentheils den Ausſchlag geben zu laſſen. Ich würde mich im erſteren Fall befinden: Allein um dieſes Vorurtheil zu heben, wer— de ich meine Einwuͤrfe ſo weit zu treiben ſuchen, als es mir moͤglich iſt.
Die erſte und andere Seite will ich Ihnen ſchenken; ob ich ſchon uͤber die Vergleichung der Diana des Virgils mit der Nauſicaa des Homers, und über die Anwendung derſelben, ein paar Worte ſagen konnte. Ich glaube auch, die Nachricht auf der zweyten Seite von den gemißhandel— ten Stuͤcken des Correggio, welche vermuthlich aus des Herrn Graf Teſ— ſins Briefen genommen iſt, haͤtte koͤnnen erlaͤutert werden mit einer Nach⸗ richt von dem Gebrauche, den man zu eben der Zeit von den Stuͤcken der beſten Meiſter in Stockholm gemacht hat.
Man weis, daß in der Eroberung der Stadt Prag a. 1648. ben 15 Julii durch den Graf Koͤnigsmark, das beſte aus der koſtbaren Samm⸗ lung von Gemaͤlden Kaiſer Rudolphs II. weggenommen und nach Schwe⸗ den gefuͤhret ift, * Unter denſelben waren etliche Stücke des Correggio, die der ſelbe für den Herzog Friderich von Mantua gearbeitet hatte, und die dieſer dem Kaiſer ſchenkte. Die beruͤhmte Leda, und ein Cupido der an feinen Bogen arbeitet, waren die vornehmſten von beſagten Stücken, ?
G3 Die
0 Hunde, rer. Suec. L. XX. H. 50. p. 796. Sandrart Acad. Pict. P. II. L. 2. f. C. p. 11. conf. St. Gelais deſer. des Tabl. du Palais Royal 9 52. ſeg.
54 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Die Königin Chriſtina, die zu derſelben Zeit mehr Schulwiſſenſchaft als Geſchmack hatte, verfuhr mit dieſen Schaͤtzen, wie Kaiſer Claudius mit einem Alexander von der Hand des Apelles, der den Kopf der Figur ausſchneiden, und an deſſelben Stelle des Auguſtus Kopf ſetzen ließ. Aus den ſchoͤnſten Gemälden ſchnitte man in Schweden die Köpfe, Haͤn⸗ de und Fuͤſſe heraus, die man auf eine Tapete klebete; das uͤbrige wurde dazu gemalet. Dasjenige, was das Gluͤck gehabt hat, der Zerſtuͤmmelung zu entgehen, ſonderlich die Stuͤcke vom Correggio, nebſt den Gemaͤlden, welche die Koͤnigin in Rom angekauft hat, kamen in den Beſitz des Her⸗ zogs von Orleans, der 250 Stuͤcke vor 90,000 Scudi erſtanden: unter denſelben waren eilf Gemälde von der Hand des Correggio.
Ich bin auch nicht allerdings zu frieden, daß Sie den nordiſchen Laͤn⸗ dern allein vorwerfen, daß der gute Geſchmack bey ihnen ſpaͤt bekannt geworden, und dieſes aus ihrer geringen Achtung ſchoͤner Gemaͤlde. Wenn dieſes von dem Geſchmacke zeuget, ſo weis ich nicht, wie man von unſern Nachbarn urtheilen konnte. Da Bonn die Reſidenz der Chur⸗ fürften von Cölln, in der fo genannten fuͤrſtenbergiſchen Sache, nach dem Tode Maximilian Henrichs, von den Franzoſen erobert wurde, ließ man die groſſen Gemälde von ihren Namen ohne Unterſchied herausſchneiden, und über die Bügel der Wagen ſpannen, auf welchen die Geraͤthe und die Koſtbarkeiten des churfuͤrſtlichen Schloſſes nach Frankreich abgefuͤh⸗ ret wurden. Glauben Sie nicht, daß ich mit bloß hiſtoriſchen Erinnerun⸗ gen, wie ich angefangen habe, fortfahren werde. Ehe ich Ihnen aber
ö mei⸗
4 Plin. Hiſt. Nar. L. 35.0100 0
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 55 meine Zweifel bringe, kann ich nicht umhin, Ihnen zwey allgemeine Puncte vorzuhalten.
Sie haben zum erſten in einem Stile geſchrieben, wo oft die Deutlich⸗ keit unter der Kuͤrze zu leiden ſcheinet. Haben Sie beſorget, Sie moͤchten kuͤnftig zu der Strafe desjenigen Spartaners, der mehr als drey Worte geſaget, verdammet werden; nemlich Guicciardins Krieg von Piſa zu leſen? Wo ein allgemeiner Unterricht der Endzweck iſt, das muß fuͤr jeder⸗ mann faßlich ſeyn. Die Speiſen ſollen mehr nach dem Geſchmack der Gaͤſte, als nach dem Geſchmack der Koͤche zugerichtet werden,
Coenae fercula noſtrae | Malim conuiuis, quam placuiſſe coquis. Hernach geben Sie ſich faſt in einer jeden Zeile mit einer allzugroſſen Paſſion fuͤr das Alterthum blos. Ich hoffe, Sie werden der Wahrheit etwas einraͤumen, wenn ich in der Folge meiner Anmerkungen, wo mir etwas in dieſem Puncte anftöffig ſcheinet, erinnere.
Der erſte beſondere Einwurf, den ich Ihnen mache, iſt auf der dritten Seite. Erinnern Sie ſich allezeit, daß ich glimpflich mit Ihnen verfahre; ich habe die zwo erſten Seiten unangefochten gelaſſen;
non temere a me Quiuis ferret idem. H OR.
oo werde ich anfangen in der gewöhnlichen Form der Beurtheilungen einer Schrift mit Ihnen zu verfahren.
Der Verfaſſer redet von gewiſſen Nachläffi igkeiten in den Werken der griechiſchen Kuͤnſtler, die man anſehen ſoll, wie Lucian den Jupiter des Phidias zu Piſa will angeſehen haben „den Jupiter ſelbſt, nicht den
Schem⸗
Lucian. de Hiſt. ſerib.
56 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
„Schemmel feiner Fuͤſſe,,; und man konnte demſelben über dem Schem⸗ mel vielleicht nichts, uͤber die Statue ſelbſt aber ein groſſes Vergehen vor⸗ werfen.
Iſt es nichts, daß Phidias ſeinen ſitzenden Zevs fü groß gemacht hat, daß er bey nahe an die Decke des Tempels gereichet, und daß man befuͤrchten muͤſen, der Gott werde das ganze Dach abwerfen, wenn es ihm einmahl einfallen ſolte aufzuſtehen? * Man hätte weislicher gehandelt, dieſen Tempel ohne Dach, wie den Tempel des aldi Jupiters zu Athen zu laſſen *.
Es iſt keine Unbilligkeit, wenn man von dem Verfaſſer eine Erklärung fordert, was er unter ſeinen Begrif der Nachlaͤſſigkeiten verſtehet. Es ſcheinet, als wenn die Fehler der Alten unter dieſem Namen zugleich mit durchſchleichen ſollten, welche man ſehr geneigt waͤre, wie der griechiſche Dichter Alcaͤus ein Mahl auf dem Finger ſeines geliebten Knabens, uns vor Schoͤnheiten auszugeben. Man ſiehet vielmals die Unvollkommenhei⸗ ten der Alten, wie ein vaͤterlich Auge die Maͤngel ſeiner Kinder, an.
Strabonem Appellat Paetum pater, & Pullum, male parvus Si cui filius eſt. HO RAT. Waͤren es Nachlaͤſſigkeiten von der Art, welche die alten „Parerga,, nen⸗ neten, und dergleichen man wuͤnſchte, daß Protogenes in ſeinem Jaly⸗ ſus begangen haͤtte, wo der groſſe Fleiß des Malers an ein Rebhun den erſten Blick auf ſich zog, zum Nachtheil der Hauptfigur, ſo waͤren ſie | wie
Strabo Georgr. L. VIII. p. 542.
2 Vitruv. L. III. c. J.
3 Plin. Hiſt. Nat. L. 35. c. ic.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 57
wie gewiſſe Nachlaͤſſigkeiten an dem Frauenzimmer, welche zieren. Weit ſicherer waͤre es geweſen, den Diomedes des Dioſcorides gar nicht anzu⸗ führen; der Berfaffer aber, der dieſen Stein gar zu wohl zu kennen ſchei⸗ net, wolte ſich gleich anfaͤnglich wider alle Einwendungen uͤber die Fehler der alten Kuͤnſtler verwahren, und da er glauben koͤnnen, wenn man ihm in einer der beruͤhmteſten und ſchoͤnſten Arbeiten der Griechen, wie der Diomedes iſt, Fehler zeigen wuͤrde, daß dieſes zugleich wenigſtens ein Vorurtheil wider geringere Werke der Kuͤnſtler dieſer Nation geben koͤn⸗ nen, fo ſuchte er eine ganz leichte Abfertigung, und meinete alle Fehler unter dem glimpflichen Ausdruck der Nachlaͤſſigkeiten zu bedecken.
Wie! wenn ich zeige, daß Dioſcorides weder Perſpectiv noch die ge: meinſten Regeln der Bewegung des menſchlichen Körpers verſtanden, ja ſo gar wider die Moͤglichkeit gehandelt habe? Ich werde es wagen; aber
incedo per ignes
Suppoſitos cineri doloſo HO R.
und ich wuͤrde vielleicht nicht zu erſt Fehler in dieſem Steine entdecken, aber mir iſt gaͤnzlich unbekannt, daß jemand dieſelben ſchriftlich mitgethei⸗ let habe. 105
Der Diomedes des Diſcorides iſt eine Figur, die entweder ſitzet, oder die ſich von dem Sitze heben will; denn die Action deſſelben iſt zweydeutig. Er ſitzet aber nicht; welches offenbar iſt: er kann ſich aber auch nicht he⸗ ben; welches in der Action, die er macht, nicht geſchehen kann.
Die Bemuͤhung die unſer Körper anwendet, von einem Sitze aufzu⸗ ſtehen, geſchiehet den Regeln der Mechanik zu folge, nach den Mittelpunct der Schwere zu, welchen der Körper ſucht. Dieſen ſuchet der ſich he⸗
H ben⸗
58 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke | bende Korper zu erhalten, wenn er die im Sitzen vorwerts gelegten Beine nach ſich ziehet; und auf unſerm Steine iſt hingegen das rechte Bein geſtreckt. Die Bemuͤhung ſich zu erheben fängt ſich an mit aufgehobe⸗ nen Ferſen, und die Schwere ruhet in dieſem Augenblicke nur auf den Ze: hen; welches Felir 2 in ſeinem geſchnittenen Diomedes beobachtet hat: hier hingegen ruhet die ganze Fußſohle.
In einer ſitzenden Stellung, in welcher Diomedes iſt, mit dem unterge⸗ ſchlagenen linken Beine, kann der Koͤrper, wenn er ſich erheben will, den Mittelpunct ſeiner Schwere nicht blos durch das Zuruͤckziehen der Beine finden; folglich ſich unmöglich durch dieſe Bewegung, die er ſich giebt, allein heben. Diomedes hat in der linken Hand, welche auf dem unterge— ſchlagenen Beine ruhet, das geraubte Palladium, und in der rechten Hand ein kurzes Schwerdt, deſſen Spitze nachlaͤſſig auf dem Poſtamente liegt. Des Diomedes Koͤrper aͤuſſert alſo weder die erſte und natürliche Bere: gung der Fuͤſſe, die zu einer jeden ungezwungenen Aufrichtung eines ſitzen⸗ den nothwendig iſt, noch auch die Kraft der ſtuͤtzenden Arme, die in ei⸗ ner ungewoͤhnlichen Lage des Sitzens zum heben eh, wird; folglich kann ſich Diomedes nicht heben.
Zu gleicher Zeit iſt, die Figur in dieſer Action betrachtet, ein Fehler wider die Perſpectiv begangen.
Der Fuß des linken untergeſchlagenen Beins berühret das Geſins des Poſtaments, welches uber die Grundflaͤche, worauf es ſelbſt und der vordere ausgeſtreckte Fuß ruhet, hervorraget; folglich iſt die Linie, die
* | der Borell. de motu animal. P. IJ. c. 18. prop. 142. p. 142. edit.
Bernoul. * Stofch. Pierr. grau. pl. 35.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 59
der hintere Fuß beſchreiben wuͤrde, auf dem Steine die voͤrdere, und die⸗ jenige, welche der vordere Fuß macht, die hintere.
Waͤre auch dieſe Stellung möglich, ſo iſt fie wider den Character in den meiſten Werken der griechiſchen Kuͤnſtler, als welche allezeit das Na⸗ tuͤrliche, das Ungezwungene geſucht haben, welches niemand in einer ſo gewaltſamen Verdrehung des Diomedes finden kann.
Ein jeder der ſich bemühen wird, dieſe Stellung im Sitzen moͤglich zu machen, wird dieſelbe beynahe unmoͤglich finden. Koͤnnte man aber dieſelbe durch Muͤhe endlich erhalten, ohne ſich aus vorhergegangenen Sitzen in dieſelbe zu ſetzen, fo waͤre fie dennoch wider alle Wahrſcheinlich— keit: denn welcher Menſch wird ſich mit Fleiß in einem po peinlichen Stande die aͤuſſerſte Gewalt anthun?
Felir, welcher vermuthlich nach dem Dioſcorides gelebet, hat zwar ſeinen Diomedes in der Action gelaſſen, welche fein Vorgaͤnger dem⸗ ſelben gegeben hat, aber er ſuchte das Gezwungene derſelben wo nicht zu heben, doch wenigſtens ertraͤglicher vorzuſtellen durch die dem Diomedes gegen über geſtellete Figur des Ulyſſes, welcher, wie man ſagt, die Eh⸗ re des geraubten Palladii dem Diomedes nehmen, und ihm daſſelbe hin⸗ terliſtiger Weiſe entreiſſen wollen. Diomedes ſetzt ſich alſo zur Gegen⸗ wehr und durch die Heftigkeit, welche der Held aͤuſſert, bekommt 985 Stellung einige mehrere Wahrſcheinlichkeit.
Eine ſitzende Figur kann Diomedes eben ſo wenig ſeyn, welches der freye und ungedruckte Contour der Theile des Geſaͤſſes und des Schen⸗ kels zeiget: es koͤnnte auch der Fuß des untergeſchlagenen entfernteren
Beins nicht ſichtbar ſeyn; zugeſchweigen, daß eben dieſes Bein mehr auf⸗ werts gebogen ſtehen muͤſte. H 2 15 Der " Stofch. Pierr. grau. pl. 14995 ’
60 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Der Diomedes beym Mariette! iſt vollends wider alle Möglichkeit: denn das linke Bein iſt wie ein zugelegtes Taſchenmeſſer untergeſchla⸗ gen, und der Fuß, welcher nicht ſichtbar if hebt ſich fo hoch, Bu er nirgend auf etwas ruhen kann. |
Kann man dergleichen Fehler mit dem Titel der Nachlaͤſſigkeiten — f ſchuldigen, und wuͤrde man ſie in den Werken neuerer Meiſter mit ſol⸗ chem Glimpfe uͤbergehen?
Dioſcorides hat ſich in der That in dieſer feiner berühmten Arbeit nur als einen Copiſten des Polyclets gezeiget. Man glaubt, dieſer ſey eben der Polyclet, deſſen Doryphorus den griechiſchen Kuͤnſtlern die Höche ſte Regel in menſchlichen Verhaͤltniſſen Bgeweſen. Sein Diomedes war alſo vermuthlich das Urbild des Dioſcorides; und dieſer hat einen Fehler vermieden, den jener begangen hatte. Das Poſtament, uͤber welches der Diomedes des Polyclets ſchwebet, iſt wider die bekannteſten Regeln der Perſpectiv gearbeitet. Das untere und das obere Geſims deſſelben machen zwo ganz 9 Linien, da ſie doch aus einem TRNE fort: laufen ſolten.
Mich wundert, daß Perrault nicht auch aus geſchnittenen Steinen Beweiſe zur Behauptung der Vorzuͤge der neueren Kuͤnſtler uͤber die Alten genommen hat. Ich glaube, es werde dem Verfaſſer und deſſen Schrift nicht nachtheilig ſeyn, wenn ich, auſſer meinen Erinnerungen, auch den Quellen nachſpuͤre, woher er einige von beſonderen Stellen und Nachrichten genommen hat.
Von
a Mariette Pier. grav. T. II. u. 94. * Stofch, Pierr. grau. pl. 54.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 61
Von der Speiſe, welche den jungen Ringern unter den Griechen der aͤlteſten Zeiten vorgeſchrieben geweſen, redet Pauſanias. Iſt dieſes eben der Ort, den man in der Schrift vor Augen gehabt hat, warum iſt hier Milchſpeiſe überhaupt angegeben, da der griechiſche Text von wei- chen Kaͤſe redet? Dromevs von Stymphilos hat an deſſen Stelle das Fleiſcheſſen aufgebracht, wie eben daſelbſt gemeldet wird.
Mit der Nachforſchung uͤber das groſſe Geheimnis der Griechen, aus blauen Augen ſchwarze zu machen, hat es mir nicht gelingen wollen. Ich finde nur einen einzigen Ort, und dieſen beym Dioſcorides, 2 der von dieſer Kunſt ſehr nachlaͤſſig, und nur wie im Vorbeygehen redet. Hier wäre der Ort geweſen, wo der Verfaſſer feine Schrift merkwuͤrdi⸗ ger machen konnen, als vielleicht durch feinen neuen Weg in Marmor zu arbeiten. Newton und Algarotti wuͤrden hier den Weiſen mehr Aufga⸗ ben und den Schoͤnen mehr Reizungen vorlegen koͤnnen. Dieſe Kunſt wuͤrde von den deutſchen Schönen höher geſchaͤtzt werden, als von den griechiſchen, bey denen groſſe und ſchoͤne blaue Augen ſeltener gls die ſchwarzen geweſen zu ſeyn ſcheinen.
Gruͤne Augen waren zu einer gewiſſen Zeit Mode.
Et ſi bel oeil Vert & riant & clair Le Sire de Coucy Chanfon
ich weis nicht, ob die Kunſt einigen Antheil an der Farbe derſelben gehabt hat. Ueber die Blattergruben wuͤrden auch ein paar Worte aus dem Hip⸗ pocrates zu reden ſeyn, wenn man ſich in Worterklaͤrungen einzulaſſen
geſonnen waͤre. H 3 Ich
? Paufan. L. UT. c. 3. p. 470. Diaſcor. de re medica L. V. c. 179. conf. Sahmas. Exertit. Plin. c. 15. P. 134: b.
62 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Ich bin im übrigen der Meinung, die Verſtellung, die ein Geſicht durch Blattern leidet, verurſache einem Körper keine fo groſſe Unvollkom⸗ menheit, als diejenige war, die man an den Athenienſern bemerken wol⸗ len. So wohlgebildet ihr Geſicht war, fo armſeelig war ihr Körper an dem Hintertheile, * Die Sparſamkeit der Natur an dieſen Theilen war wie der Ueberfluß derſelben bey den Enotoceten in Indien, die ſo groſſe Ohren ſollen gehabt haben, daß ſie ſich N anſtatt der Kuͤſ⸗ ſen bedienet. f
Ueberhaupt glaube ich, unſere Kuͤnſtler wuͤrden vielleicht eben ſo gute Gelegenheit haben konnen, das ſchoͤnſte Nackende zu ſtudiren, wie in den Gymnaſien der Alten geſchehen. Warum nutzen ſie diejenige nicht, die man den Kuͤnſtlern in Paris vorſchlaͤgt, 3 in heiſſen Sommertagen laͤngſt den Ufern der Seine, um die Zeit, da man ſich zu baden pfleget, zu gehen, wo man das Nackende von ſechs bis zu funfzig Jahren waͤh⸗ fen kann? Nach ſolchen Betrachtungen hat Michael Angelo in feinem berühmten 4 Carton von dem Kriege von Piſa vermuthlich die Figuren der Soldaten entworfen, die ſich in einem Fluße baden, und uͤber dem Schall einer Trompete aus dem Waſſer ſpringen, zu ihren Kleidern eilen, und dieſelben uͤber ſich werfen. 5
Einer von den anſtoͤſſigſten Orten in der Schrift iſt ohne Sweife der⸗ heute, wo zu Ende der 4 Seite die neueren Bildhauer gar zu tief
un⸗
1 Ariftoph. Nub. v. 1178.
2 Ariftoph. Nub. v. 1365. & Scholiaſt. ad h. 1.
Ob ſervat. für les Arts fur queſquer Morceaux. de Peinturs & ee ex- pofes au Louvre en 1748, p. 18.
4 Ripofo di Raffaello Borghini. L. I. p. 49.
| in der Malerey und Bildhauerkunſt. 63 unter die griechiſchen herunter geſetzt werden. Die neueren Zeiten haben im Starken und Maͤnnlichen mehr als einen Glycon, und im Zaͤrtlichen, Jugendlichen und Weiblichen mehr als einen Praxiteles aufzuweiſen. Michael Angelo, Algardi und Schluͤter, deſſen Weite Berlin zieren,
haben muſculdſe Korper, und
— invicti membra Glyconis H OR.
ſo erhaben ut männlich als Glycon ſelbſt gearbeitet; und im Zaͤrtlichen koͤnnte man beynahe behaupten, daß Bernini, Fiammingo, Le Gros, Rauchmuͤller und Donner die Griechen ſelbſt übertroffen haben. 6 Unſere Kuͤnſtler kommen darinn uͤberein, daß die alten Bildhauer nicht verſtanden, ſchoͤne Kinder zu arbeiten, und ich glaube, ſie wuͤrden zur Nachahmung viel lieber einen Cupido vom Fiammingo als vom Praxite⸗ les ſelbſt waͤhlen. Die bekannte Erzaͤhlung von einem Cupido, den Mi⸗ chael Angelo gemacht, und den er neben einen Cupido eines alten Mei- ſters geſtellet, um unſere Zeiten dadurch zu lehren, wie vorzüglich die Kunſt der Alten ſey, beweiſet hier nichts: denn Kinder von Michael An— gelo werden uns niemals einen ſo nahen Weg nr als es die Natur ſelbſt thut. | Ich glaube, es fen nicht zuviel geſagt, wenn man behauptet, Fiam⸗ mingo habe als ein neuer Prometheus Geſchoͤpfe gebildet, dergleichen die Kunſt wenige vor ihn geſehen hat. Wenn man von den mehreſten Figu: ren von Kindern auf geſchnittenen Steinen, und auf erhobenen Arbei⸗ ten
S. Den Cupido (a) des Solons; den Cupido der die Löwinnen fuͤhret vom (b) Soſtratus, und ein Kind neben einem Faun vom (c) Axeochus.
(a) Stofch. Pierr. grav. pl. 64. (b) Ibid. pl. 66. (e) Ibid. pl. 20.
64 Bon der Nachahmung der griechiſchen Werke
ten! der Alten, auf die Kunſt uͤberhaupt fehlieffen darf, fo wuͤnſchte man ihren Kindern mehr Kindiſches, weniger ausgewachſene Formen, mehr Milchfleiſch und weniger angedeutete Knochen. Eben dergleichen Bildung haben Raphaels Kinder und der erſten groſſen Maler bis auf die Zeiten, da Franz Quenoy, genannt Fiammingo erſchien, deſſen Kinder, weil er ihnen mehr Unſchuld und Natur gegeben, den Kuͤnſtlern nach ihm eben dasjenige geworden, was Apollo und Antinous demſelben im Ju⸗ gendlichen ſind. Algardi, der zu gleicher Zeit gelebet, iſt dem Fiammin⸗ go in Figuren von Kindern an die Seite zu ſetzen. Ihre Modelle in Thon ſind unſern Kuͤnſtlern ſchaͤtzbarer als der Alten ihre Kinder in Mar⸗ mor; und ein Kuͤnſtler, den ich namentlich anzufuͤhren mich nicht ſchaͤ⸗ men duͤrfte, hat mich verſichert, daß in ſieben Jahren, ſo lange er in der Academie der Kuͤnſtler zu Wien ſtudiret, er niemand wiſſe, der nach ei⸗ nem daſigen Antiquen Cupido gezeichnet habe.
Ich weis auch nicht, was es vor ein Begrif von einer ſchoͤnen Form bey den griechiſchen Kuͤnſtlern geweſen, die Stirn an Kindern und jun⸗ gen Leuten mit herunterhaͤngenden Haaren zu bedecken. Ein Cupido * vom Praxiteles, ein Patroclus 3 auf einem Gemälde beym Philo⸗ ſtratus war alſo vorgeſtellet; und Antinous erſcheinet weder in Statuen und Bruſtbildern, noch auf geſchnittenen Steinen und auf Muͤnzen an⸗ ders: und vielleicht verurfacht dergleichen Stirn dem Liebling des Hadri⸗ ans die truͤbe und etwas melancholiſche Mine, welche man an deſſen
Koͤpfen bemerket. Giebt
v. Bartoli Admiranda Rom. Fol. 50. 51. 61. Zanetti Statue antiche P. II.
Fol. 33. * v. Calliſtrat. p. 903. . Philoftrat. Heroic. \
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 65
Giebt eine offene und freye Stirn einem Geſichte nicht mehr edeles und erhabenes? und ſcheinet Bernini das Schone in der Form nicht beffer gekannt zu haben, als die Alten, da er dem damahls jungen Koͤnige in Frankreich Ludewig XIV. deſſen Bruſtbild er in Marmor arbeitete, die Haarlocken aus der Stirn ruͤckte, welche dieſer Prinz vorher bis auf die Au⸗ genbraunen herunterhaͤngend getragen? „E. Majeftät,,, ſagte der Kuͤnſt⸗ ler, * „ iſt König, und kann die Stirn der ganzen Welt zeigen, Der König und der ganze Hof trugen die Haare von der Zeit an, fo wie es Bernini gut gefunden hatte. |
Eben dieſes groſſen Kuͤnſtlers Urtheil über die erhobene Arbeit an dem Monumente Pabſt Alexanders VI. 2 kann Anlaß geben, über derglei- chen Arbeit der Alten eine Anmerkung zu machen. „Die Kunſt der er⸗ „hobenen Arbeit beſtehet darinn,,, ſagte er, „zu machen, daß dasjenige, „was nicht erhoben iſt, erhoben ſcheine. Die faſt ganz erhobenen Figu⸗ „ren am gedachten Monumente, pflegte er zu ſagen, „ſchienen, was ſie „waͤren, und ſchienen nicht, was fie nicht waͤren.,
Erhobene Arbeiten ſind von den erſten Erfindern angebracht worden an Orten, welche man mit hiſtoriſchen oder allegoriſchen Bildern zieren wolte, wo aber ein Gruppo von freyſtehenden Statuen, auch in Abſicht des Geſimſes, weder Platz noch ein bequemes Verhaͤltniß fand. Ein Geſims dienet nicht ſo wohl zur zierlichen Bekleidung, als vielmehr zur Verwahrung und Beſchuͤtzung desjenigen Theils eines Werks und Ge⸗ baͤudes, woran es ſtehet. Die Vorlage deſſelben ſey allezeit dem Nutzen
ö ge⸗
Baldiuucci Vita del Cab. Bernino, p. 47. | 2 9. Ibid. p. 72. 2
66 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
gemäß, den es leiſten ſoll, nemlich Wetter, und Regenguͤſſe, und andere gewaltſame Beſchaͤdigungen von den Haupttheilen abzuhalten. Hieraus folget, daß erhobene Arbeiten uͤber die Bekleidung des Orts, welchen ſie zieren, als deſſen zufaͤlliges Theil ſie ſelbſt nur ſind, nicht hervorſpringen ſollen, indem es fo wohl dem natürlichen Endzwecke eines Geſimſes ent- gegen, als fuͤr die erhobenen Figuren ſelbſt gefaͤhrlich ſeyn wuͤrde.
Die mehreſten erhobenen Arbeiten der Alten find bey nahe ganz frey⸗ ſtehende Figuren, deren völliger Umriß unterarbeitet iſt. Nun find aber erhobene Arbeiten erlogene Bilder, und zu folge der Abſicht ihrer Erfin⸗ dung, nicht die Bilder ſelbſt, ſondern nur eine Vorſtellung derſelben; und die Kunſt in der Malerey fo wohl, als in der Poeſie beſtehet in der Nach- ahmung. Alles, was durch dieſelbe wirklich und koͤrperlich nach feiner Maaße alſo wuͤrde hervorgebracht werden, wie es in der Natur erſcheinet, iſt wider das Weſen der Kunſt. Sie ſoll machen, daß das, was nicht er: haben iſt, erhaben, und was erhaben iſt, nicht erhaben ſcheine.
Aus dieſem Grunde ſind ganz hervorliegende Figuren in erhobenen Arbeiten eben ſo anzuſehen, als feſte und wirklich aufgefuͤhrte Saͤulen unter den Verzierungen eines Theaters, welche blos wie ein angenehmes Blendwerk der Kunſt als ſolche unſerem Auge erſcheinen ſolten. Die Kunſt erhaͤlt hier, fo wie jemand von der Tragoͤdie geſagt hat, mehr Wahrheit durch den Betrug, und Unwahrheit durch Wahrheit. Die Kunſt iſt es, welche macht, daß oft eine Copie mehr reizet, als die Natur ſelbſt. Ein natürlicher Garten, und lebendige Baͤume auf der Scene eines Thea⸗ ters machen kein ſo angenehmes Schauſpiel, als wenn dergleichen durch Kuͤnſtler Haͤnde gluͤcklich dargeſtellet werden. Wir finden mehr zu be⸗ wundern an einer Roſe von van Huyſum, oder an einer Pappel von Vee⸗
ren⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 67
rendaal, als an denen, die der geſchickteſte Gaͤrtner gezogen hat. Eine entzuͤckende Landſchaft in der Natur, ja das glückfelige theſſaliſche Tem: pe ſelbſt wird vielleicht nicht die Wuͤrkung auf uns machen, die Geiſt und Sinne bey Betrachtung eben dieſer Gegend durch den reizenden Pinſel eines Dieterichs erhalten muͤſſen.
Auf dieſe Erfahrungen kann ſich unſer Urtheil über die erhobenen Ar⸗ beiten der Alten gründen. Die zahlreiche Sammlung der Königlichen Al⸗ terthuͤmer in Dreßden enthält zwey vorzuͤgliche Werke von dieſer Art. Das eine iſt eine Bacchanale an einem Grabmale: das andere iſt ein Opfer des Priapus an einem groſſen marmornen Gefaͤſſe.
Es iſt ein abſonderliches Theil der Kunſt eines Bildhauers, erhobene Werke zu arbeiten: nicht ein jeder groſſer Bildhauer iſt hierinn glücklich geweſen. Matielli kann hier als ein Beyſpiel dienen. Es wurden auf Befehl Kaiſer Carls VI. von den geſchickteſten Kuͤnſtlern Modelle verferti- get zu dergleichen Arbeiten auf die beyden Spiralſaͤulen an der Kirche des des H. Caroli Borromaͤi. Matielli, der allbereits einen groſſen Ruf er: langet hatte, war einer der vornehmſten, die hierbey in Betrachtung gezo— gen wurden: allein feine Arbeit war nicht diejenige, welche den Preis er hielt. Die gar zu erhabene Figuren ſeines Modells beraubeten ihn der Ehre eines ſo wichtigen Werks aus dem Grunde, weil die Maſſe des Steins durch die groſſen Tiefen wuͤrde verringert und die Säulen geſchwaͤcht worden ſeyn. Mader heißt der Kuͤnſtler, deſſen Modelle vor ſeiner Mit— werber ihren den größten Beyfall fanden, und die er an den Säulen ſelbſt unvergleichlich ausgefuͤhret hat. Es iſt bekannt, daß es eine Vorſtellung des Heiligen iſt, dem die Kirche geweihet worden.
[7
J 2 Ueber⸗
68 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Ueberhaupt iſt bey dieſer Arbeit zu merken: Erſtlich; daß nicht eine jede Action und Stellung zu derſelben bequem ſey, dergleichen ſind allzu⸗ ſtarke Verkuͤrzungen, welche daher vermieden werden muͤſſen. Zum an⸗ dern: daß nachdem die einzelne modellirte Figuren wohl ordonnirt und gruppirt worden, der Durchmeſſer einer jeden derſelben in der Tiefe, nach einem verjuͤngten Maasſtabe zu den Figuren der erhobenen Arbeit ſelbſt genommen werde, alſo, daß wenn z. E. der Durchmeſſer einer Figur einen Fuß gehalten, die Maas des Profils eben derſelben Figur, nachdem fie halb oder weniger erhoben gearbeitet werden ſoll, in drey Zoll oder weni⸗ ger gebracht werde; mit dieſer nothwendigen Beobachtung, daß die Pro⸗ file perſpectiviſch nicht allein geſtellet, ſondern in ihrer gehörigen Degrada⸗ tion verjünget werden muͤſſen. Je mehr Rundung der flach gehaltene Durchmeſſer einer Figur giebt, deſto groͤſſer iſt die KRunſt. Insgemein fehlet es der erhobenen Arbeit an der Perſpectiv; und wo Werke von dieſer Art keinen Beyfall gefunden, iſt es meiſtentheils aus dieſem Grunde ge⸗ ſchehen. | Da ich nur eine kleine Anmerkung über die erhobene Arbeiten der Al— ten zu machen gedachte, merke ich, daß ich, wie jener alte Redner, bey nahe jemand noͤthig hatte, der mich widerum in den Ton braͤchte. Ich bin uͤber meine Grenzen gegangen; und mich deucht, es ſey eine gewiſſe Beobachtung unter Scribenten, in Abſicht der Erinnerungen uͤber eine Schrift: keine zu machen, als uͤber ausdruͤcklich in der Schrift befindliche bedenkliche Puncte. Zugleich erinnere ich mich, daß ich einen Brief und kein Buch ſchreiben will: es faͤlt mir auch zuweilen ein, daß ich fuͤr mich ſelbſt einen Unterricht ziehen konnte,
— — Vt vineta egomet caedam mea HOR. aus
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 69
aus dem Ungeſtuͤm gewiſſer Leute wider den Verfaſſer, die nicht zugeben wollen, daß man eins und das andere ſchreibe uͤber Dinge, wozu fie ge: dungen worden.
Die Römer hatten ihren Gott Terminus, der die Aufſicht über die Grenzen und Markſteine überhaupt, und, wenn es dieſen Herren gefaͤlt, auch über die Grenzen in Künften und Wiſſenſchaften hatte. Gleichwohl urtheileten Griechen und Romer über Werke der Kunſt, die keine Kuͤnſt— ler waren, und ihr Urtheil ſcheinet auch unſern Kuͤnſtlern gültig, Ich fin⸗ de auch nicht, daß der Kuͤſter in dem Tempel des Friedens zu Rom, der das Regiſter uͤber den Schatz von Gemälden der beruͤhmteſten griechi— ſchen Meiſter, die daſelbſt aufgehaͤnget waren, haben mochte, ſich ein Monopolium der Gedanken uͤber dieſelbe angemaſſet, da ei die Ge⸗ maͤlde mehrentheils beſchrieben,
Publica materies priuati juris fit — HOR,
Es wäre zu wuͤnſchen, daß Kuͤnſtler ſelbſt nach dem Beyſpiel eines Pamphilus und eines Apelles die Feder ergreifen, und die Geheimniſſe der Kunſt denenjenigen, welche dieſelben zu nutzen verſtehen, entdecken moͤchten.
Ma di coſtor, che à lavorar s aceingono
Quattro quinti, per Dio, non ſanno leggere Salvator Rofa. Sat. III.
Zween oder drey haben ſich hier verdient gemacht; die uͤbrigen Scribenten unter ihnen haben uns nur hiſtoriſche Nachrichten von ihren Mitbruͤdern ertheilet. Aber von der Arbeit, welche der beruͤhmte Pietro da Cortona
C
33 und
70 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
und der P. Ottonelli mit vereinigten Kraͤften angegriffen haben, haͤtte man ſich einen groſſen Unterricht auch fuͤr die ſpaͤte Nachwelt der Kuͤnſt⸗
ler verfprechen koͤnnen. Ihre Schrift iſt unterdeſſen, auſſer den hiſtori⸗ ſchen Nachrichten, die man in hundert Buͤchern beſſer finden kann, faſt zu nichts weiter nuͤtzlich, als
Ne ſcombris tunicae deſint piperique cuculli. Seöfani Sat.
Wie gemein und niedrig find die Betrachtungen über die Malerey von dem groſſen Nicolas Pouſſin, welche Bellori 2 aus einer Handſchrift als etwas ſeltenes mittheilet, und dem Leben dieſes Kuͤnſtlers beygefuͤget hat?
Der Verfaſſer hat ohnzweifel nicht für Kuͤnſtler ſchreiben wollen; fie wuͤrden auch viel zu großmuͤthig ſeyn, als daß ſie uͤber eine ſo kleine Schrift einen Ariſtarchus vorſtellen wolten. Ich erinnere dem Verfaſſer nur ei⸗ nige Kleinigkeiten, die ich einigermaſſen einzuſehen im Stande bin; und ich werde es noch mit einigen wenigen Bedenken wagen.
Auf der eilften Seite hat man ſich unterſtanden, ein Urtheil des Ber: nini vor ungegruͤndet zu erklaͤren, und wider einen Mann aufzutreten, den man eine Schrift zu beehren nur haͤtte nennen duͤrfen. Bernini war der Mann, der in eben dem Alter, in welchem Michael Angelo die beruͤhm⸗ te Copie eines Kopfs vom Pan, die man insgemein Studiolo s nen⸗ net, gearbeitet hat, das iſt, im achtzehenden Jahre ſeines Alters eine
D
r Trattato della Piktura e Seultura, % & abufo loro, compoflo da us Teologo e da un Pittore, Fiorenza, 1652, 4
* Bellori Vite de Pittori etc. p. Joo. b 5
3 Richard/on. T. III. p. 94.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 71
Daphne machte, wo er gezeiget, daß er die Schoͤnheiten der Werke der Griechen kennen lernen, in einem Alter, wo vielleicht noch Dunkelheit und Finſternis beym Raphael war.
Bernini war einer von den gluͤcklichen Koͤpfen, die zu gleicher Zeit Bll⸗ then des Fruͤhlings, und Fruͤchte des Herbſts zeigen, und ich glaube nicht, daß man erweiſen koͤnne, daß ſein Studium der Natur, woran er ſich in reifern Jahren gehalten, weder ihn ſelbſt, noch ſeine Schuͤler durch ihn uͤbel gefuͤhret. Die Weichligkeit ſeines Fleiſches war die Frucht dieſes Studi, und hat den hoͤchſten Grad des Lebens und der Schönheit, zu welchen der Marmor zu erheben iſt. Die Nachahmung der Natur giebt den Figuren des Kuͤnſtlers Leben, und belebt Formen, wie Socrates! ſagt, und Clito der Bildhauer ſtimmet ihm bey. „Die Natur ſelbſt iſt nachzuah⸗ men, kein Sünftler,,; gab Lyſippus der groſſe Bildhauer zur Antwort, da man ihn fragte, wem er unter ſeinen Vorgaͤngern folgete? Man wird nicht leugnen koͤnnen, daß die eifrige Nachahmung der Alten mehren⸗ theils ein Weg zur Trockenheit werden kann, zu welcher die Nachahmung der Natur nicht leicht verleiten wird. Dieſe lehret Mannigfaltigkeit, wie ſie ſelbſt mannigfaltig iſt, und die öftere Widerholung wird Kuͤnſtlern, welche die Natur ſtudiret haben, nicht koͤnnen vorgeworfen werden. Gui⸗ do, le Brun und einige andere, welche das Antique vornemlich ſtudiret, haben einerley Geſichtszuͤge in vielen Werken widerholet. Eine gewiſſe Idee von Schönheit war ihnen dermaſſen eigen geworden, daß fie dieſel⸗ be ihren Figuren gaben, ohne es zu wollen.
Was aber die bloſſe Nachahmung der Natur mit Hindanſetzung des Antiquen betrift, fo bin ich vollig der Meinung des Verfaſſers: aber zu
| | Bey:
®* Xenoph. Memorab. L. III. c. 6,7.
72 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Beyſpielen von Naturaliſten in der Malerey wuͤrde ich andere Meiſter ge⸗ waͤhlet haben. Dem groſſen Jordans iſt gewiß zu viel geſchehen. Mein Urtheil ſoll hier nicht allein gelten; ich berufe mich auf dasjenige, welches wie die übrigen Urtheile von Malern wenige verwerfen werden. „Jacob Jordans, ſagt * ein Kenner der Kunſt, „hat mehr Ausdruck und „Wahrheit als Rubens,
„die Wahrheit iſt der Grund und die Urſach der Vollkommenheit „und der Schoͤnheit; eine Sache, von was vor Natur ſie auch iſt, kann „nicht ſchön und vollkommen ſeyn, wenn fie nicht wahrhaftig iſt, alles was
„fie ſeyn muß, und wenn fie nicht alles das hat, was fie haben muß, Die Richtigkeit des obigen Urtheils vorausgefeßt, fo wird nach dem Begrif von der Wahrheit in einer berühmten * Originalſchrift, Jor— dans mit mehrern Recht unter die größten Originale, als unter die Affen der gemeinen Natur zu ſetzen ſeyn. Ich wuͤrde hier an die Stelle dieſes groſſen Kuͤnſtlers einen Rembrant, und fuͤr den Stella einen Raoux oder einen Vatteau geſetzt haben; und alle dieſe Maler thun nichts anders, als was Euripides zu ſeiner Zeit gethan hat; ſie ſtellen die Menſchen vor, wie ſie ſind. In der Kunſt iſt nichts klein und geringe; und vielleicht iſt auch aus den ſo genannten hollaͤndiſchen Formen und Figuren ein Vortheil zu ziehen, fo wie Bernini die Caricaturen genutzet hat. Dergleichen uͤber— triebenen Figuren hat er, wie man verſichert, eins der größten Stuͤcke der Kunſt zu danken gehabt, nemlich ? die Freyheit feiner Hand; und ſeit dem
1 Argenville Abrege det Viet des Peintr. T. II. * Rochefaucault Penftes. ° Franchezza del tocco v. Baldinucci Vita del Cav. Bernino p. 66.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 73
dem ich dieſes geleſen, habe ich angefangen etwas anders zu denken über die Caricaturen, und ich glaube, man habe einen groſſen Schritt in der Kunſt gemacht, wenn man eine Fertigkeit in denſelben erlanget hat. Der Verfaſſer giebt es als einen Vorzug bey den Kuͤnſtlern des Alterthums an, daß ſie uͤber die Grenzen der gemeinen Natur gegangen ſind: thun unſere Meiſter in Caricaturen nicht eben dieſes? und niemand bewundert ſie. Es ſind vor einiger Zeit groſſe Baͤnde von ſolcher Arbeit unter uns ans Licht getreten, und wenig Kuͤnſtler achten dieſelben ihres * wuͤrdig. 2. I *
Ueber die vierzehende Seite werde ich dem Verfaſſer ein Urtheil un⸗ ſerer Academien vorlegen. Er behauptet mit dem Tone eines Geſetzgebers, „die Richtigkeit des Contours muͤſſe allein von den Griechen erlernet wer— „den. In unſeren Academien wird insgemein gelehret, daß die Alten von der Wahrheit des Umriſſes einiger Theile des Körpers wirklich abge: gangen ſind, und daß an den Schluͤſſelbeinen, am Ellenbogen, am Schien⸗ beine, an den Knien, und wo ſonſt groſſe Knorpel liegen, die Haut nur uͤber die Knochen gezogen ſcheinet, ohne wahrhaftig deutliche Anzeigung der Tiefen und Hoͤhlungen, welche die Apophyſes und Knorpel an den Ge: lenken machen. Man weiſet junge Leute an, ſolche Theile, wo unter der Haut nicht viel fleiſchigtes lieget, eckigter zu zeichnen; und eben ſo
im Gegentheil, wo ſich das meiſte Fett anſetzet. Man haͤlt es ordentlich vor einen Fehler, wenn der Umriß gar zu ſehr nach dem alten Geſchmacke iſt. Ganze Academien in Corpore, die alſo lehren, werden doch, hoffe ich, nicht irren koͤnnen.
Parrhaſius ſelbſt, „der größte im Contour, hat „die Linie, welche „das . von dem 3 Ueberſtüſſſgen ſcheidet, „nicht zu treffen gewuſt:
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74 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Er iſt, wie man ! berichtet, da er die Schwulſt vermeiden wollen, in das Magere verfallen. Und Zeuxis hat vielleicht ſeinen Contour wie Ru⸗ bens gehalten, wenn es wahr iſt, daß er voͤlligere Theile gezeichnet, um feine Figuren anſehnlicher und vollkommner zu machen. Seine weibli⸗ chen Figuren hat er nach Homers Begriffen 2 gebildet, deſſen Weiber von ſtarker Statur find. Der zaͤrtliche Theocrit ſelbſt malet feine Helena? fleiſchigt und groß, und Raphaels Venus in der Verſammlung der Goͤt⸗ ter des kleinen farneſiſchen Pallaſtes in Rom, iſt nach gleichfürmigen Ideen einer weiblichen Schönheit entworfen. Rubens hat alſo wie Homer und wie Theocrit gemalet: was kann man mehr zu ſeiner e fagen? „ 9125
Der Character des Raphaels in der Schrift if richtig und wahr ent: worfen: aber würde nicht eben das, was Antalcidas der Spartaner ei⸗ nem Sophiſten ſagte, der eine Lobrede auf den Hercules ableſen wolte, auch hier gelten? „Wer tadelt ihn,, ſagte er. Was die Schönheiten betrift, die man in dem Raphael der Königlichen Gallerie zu Dreßden, und ins beſondere an dem Kinde auf den Armen der Madonna finden wollen, fo urtheilet man ſehr verſchieden Darüber.
O o er TEN Er ν YERas. Lucian. Epigr. I.
Der Verfaſſer hatte in N ruͤhmlich die Perfon eines Patrioten anneh⸗ men konnen wider einige jenſeit der Alpen, denen alles, was niederlaͤn⸗ diſch iſt, Eckel macht:
Tur-
Plin. Hiſt. Nat. L. 35. b. ı0. Quintil. Inſtit. Orat. L. 12. c. ib. 2 Hyll. 18. v. 29.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 75
bi, Romano Belgicus ore color,
Hropert. L. II. Eleg. 8. Iſt nicht die Zauberey der Farben etwas fo weſentliches, daß kein Ge⸗ maͤlde ohne dieſelbe allgemein gefält, und daß durch dieſelbe viel Fehler theils uͤbergangen, theils gar nicht angemerket werden? Dieſe machet nebſt der groſſen Wiſſenſchaft in Licht und Schatten den Werth der nie⸗ derlaͤndiſchen Stuͤcke. Sie iſt dasjenige in der Malerey, was der Wohl⸗ klang und die Harmonie der Verſe in einem Gedichte ſind. Durch dieſe Zauberey der dichteriſchen Farben verſchwinden deſſen Vergehungen, und derjenige, welcher ihn mit dem Feuer, worinn er gedichtet, leſen kann, wird durch die goͤttliche Harmonie in ſolche Entzuͤckung mit fortgeriſſen, daß er nicht Zeit hat an das, was anſtoͤſſig iſt, zu gedenken.
Bey Betrachtung eines Gemaͤldes iſt etwas, was vorangehen muß; dieſes iſt die Beluſtigung der Augen, ſagt jemand; und dieſe beſtehet in den erſten Reitzungen, anſtatt daß dasjenige, was den Verſtand rüh- ret, allererſt aus der Ueberlegung folget. Die Colorit iſt uͤberdem allein Gemälden eigen; Zeichnung ſuchet man in jedem Entwurfe, in Kupferſti⸗ chen und dergleichen; und dieſe ſcheinet in der That eher als jene von Kuͤnſtlern erlanget zu ſeyn. Ein groſſer Scribent in der Kunſt 2 will auch bemerkt haben, daß die Coloriſten viel ſpaͤter als die dichteriſchen Maler in Ruf gekommen ſind. Kenner wiſſen, wie weit es dem beruͤhm⸗ ten Pouſſin in der Colorit gelungen iſt; und alle diejenigen,
Qui rem Romanam Latiumque augeſcere ſtudent. Ennius.
K 2 | wer⸗
de Piles Converfat. fur la Peint. du Bos Refl. fur la Poefie & fur la Print.
76 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
werden hier die niederländifchen Maler vor ihre Meiſter erkennen muͤſſen. Ein Maler iſt ja eigentlich nichts anders, als ein Affe der Natur, und je glücklicher er dieſe nachaͤffet, deſto vollkommener iſt er. Aſt heic, quem nunc tu tam turpiter merep I
Der zürtlche Van der Werf, deſſn Arbeiten mit Golde aufgewogen wer⸗ den, und nur allein die Cabinette der Groſſen in der Welt zieren, hat ſie fir jeden welſchen Pinſel unnachahmlich gemacht. Es find Stücke, wel che die Augen der Unwiſſenden, der Liebhaber und der Kenner auf ſich ziehen. „Ein jeder Poet, welcher gefallt,, ſagt der critiſche engliſche Dich⸗ ter, „hat niemahls uͤbel geſchrieben, , und wenn der niederlaͤndiſche Maler dieſes erhält, fo iſt fein Beyfall allgemeiner, als derjenige, den 1 * 153 | ſte Zeichnung von Pouſſin hoffen kan. .
Man zeige mir viel Gemälde von Erfindung N Compoſt tion und Cole: rit, wie einige von Gerhards Laireſſe Hand find. Alle unparteyiſche Kuͤnſt⸗ ler in Paris, die das allervorzuͤglichſte, und ohne Zweifel das erſte Stuͤck in dem Cabinet der Schildereyen des Herrn De la Boirieres kennen, ich meine, die Stratonice, werden mir Beyfall geben muͤſſen. *
Die Geſchichte des Vorwurfs, welchen der Kuͤnſtler hier ausgefuͤhret, iſt nicht die gemeinſte. König Seleucus I. trat feine Gemalin Stratonice, eine Tochter des beruͤhmten Demetrius Poliorcetes, ſeinem Sohne Antio⸗ chus ab, der aus heftiger Neigung gegen die Königin, als feine Stiefmut⸗ ter, in eine gefährliche Krankheit gefallen war. Der Artzt = - fand nach langen Forſchen die wahre Urſach derſelben, und zur Geneſung des Prin⸗ zen das einzige Mittel in der Gefaͤligkeit des Vaters gegen die Liebe ſeines
Sohns.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 77
Sohns. Der König begab fich feiner Gemalin, und ernennete zu glei⸗ cher Zeit den Antiochus zum Koͤnig der Morgenlaͤnder.
Laireſſe hat eben dieſe Geſchichte zweymahl gemalet: die Stratonice des Hn. Boixieres iſt das kleinere; die Figuren halten etwa anderthalb Fuß und im Hinterwerke iſt dieſes verſchieden von jenem.
Die Hauptperſon des Gemaͤldes Stratonice iſt die edelſte Figur; eine Figur, die der Schule des e ſelbſt Ehre machen konnte. Die fhönfte Königin, | |
Colle fub Idaeo vincere digna Deas Ovid. Art.
Sie nahet fich mit langſamen und zweifelhaften Schritten zu dem Bet⸗ te ihres beſtimmten neuen Gemals; aber annoch mit Geberden einer Mut- ter, oder vielmehr einer heiligen Veſtale. In ihrem Geſichte, welches ſich in dem ſchoͤnſten Profil zeigt, lieſet man Schaam und zugleich eine gefaͤllige Unterwerfung unter dem Befehl des Königs. Sie hat das fanf- te ihres Geſchlechts, die Majeſtaͤt einer Koͤnigin, die Ehrfurcht bey einer heiligen Handlung, und alle Weisheit in ihrem Betragen, die in einem ſo feinen und auſſerordentlichen Umſtande, wie der gegenwaͤrtige iſt, er⸗ fordert wurde. Ihr Gewand iſt meiſterhaft geworfen, und es kann die Kuͤnſtler lehren, wie ſie den Purpur der Alten malen ſollen. Es iſt nicht allgemein bekannt, daß der Purpur die Farbe von Weinblaͤttern gehabt, wenn fie anfangen welk zu werden, und zu gleicher Zeit ins roͤthliche fallen!
Konig Seleucus ſtehet hinter ihr in einer dunklen Kleidung, um die Hauptfigur noch mehr zu heben, und theils um die Stratonice nicht in es Ver⸗
v. Lettre de M. Huct fur la Pourpre: dans les Diſſertat de Tilladst Tom. II. p. 169.
78 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Verwirrung zu ſetzen, theils um den Prinzen nicht beſchaͤmt zu machen, oder deſſen Freude zu ſtoͤhren. Erwartung und Zufriedenheit ſchildern ſich zu gleicher Zeit in ſeinem Geſichte, welches der Kuͤnſtler nach dem Profil der beſten Köpfe auf deſſen Münzen genommen hat.
Der Prinz, ein ſchoͤner Juͤngling, der auf ſeinem Bette halb nackend aufgerichtet ſitzt, hat die Aehnlichkeit vom Vater und von feinen Münzen, Sein blaſſes Geſicht zeuget von dem Fieber, welches in ſeinen Adern ge⸗ wuͤtet, allein man glaubt ſchon den Anfang der Geneſung zu ſpuͤren aus der wenigen aufſteigenden Roͤthe, die nicht durch die Schaam gewuͤrkt worden.
Der Arzt und Prieſter Eraſiſtratus, ehrwuͤrdig wie des Homers Cal⸗ chas, welcher vor dem Bette ſtehet, iſt die aus Vollmacht des Koͤnigs redende Perſon, und erklaͤret dem Prinzen den Willen des Königs; und indem er ihm mit der einen Hand die Königin zufuͤhret, fo überreicht er ihm mit der andern Hand das Diadem. Freude und Verwunderung wollen aus dem Geſichte des Prinzen bey Annaͤherung der a hervor⸗ brechen,
Und jedem Blick von ihr wallt deffen Herz entgegen Haller die aber durch die Eh uh in der edelſten Stille erhalten werden, ſo daß er gleichſam ſein Gluͤck mit gebaͤugten Haupte zu uͤberdenken ſcheinet.
Alle Character, die der Kuͤnſtler ſeinen handelnden Perſonen gege⸗ ben, ſind mit ſolcher Weisheit ausgetheilet, daß ein jeder derſelben dem andern Erhobenheit und Nachdruck zu geben ſcheinet.
Auf die Stratonice, als die Hauptperſon faͤllt die groͤßte Maaſſe des Lichts, und ſie lehrt den erſten Blick auf ſich. Der Prieſter ſtehet im
ſchwaͤ
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 79 ſchwaͤchern Lichte, er hebet ſich aber durch die Action, die man ihm gege⸗ ben: er iſt der Redner, und auſſer ihm regieret eine allgemeine Stille und Aufmerkſamkeit. Der Prinz, welcher nach der Hauptfigur vornemlich merkwuͤrdig ſeyn muſte, iſt mehr beleuchtet; und da des Kuͤnſtlers Ver⸗ ſtand zum vornehmſten Theil feines Gruppo weislicher eine ſchoͤne Koͤni⸗ gin, als einen kranken Prinzen, der es vermoͤge der Natur der Sachen hätte ſeyn ſollen, waͤhlete, fo iſt dieſer dennoch dem Ausdruck nach, das vorzuͤglichſte im ganzen Gemälde, Die größten Geheimniſſe der Kunſt liegen in deſſen Geſicht. |
quales nequeo monſtrare & fentio tantum. Iuuenal. Sat. VII.
Die N der Seele, die mit einander zu ſtreiten ſcheinen, flieſſen hier mit einer friedlichen Stille zuſammen. Die Geneſung meldet ſich in dem ſiechen Geſichte, ſo wie die Ankuͤndigung der erſten nahen Blicke der Morgenroͤthe, die unter dem Schleyer der Nacht ſelbſt den Tag, und ei⸗ nen ſchoͤnen Tag zu verſprechen ſcheinet.
Der Verſtand und der Geſchmack des Kuͤnſtlers breiten ſich durch ſein ganzes Werk aus bis auf die Vaſen, die nach den beſten Werken des Alterthums in dieſer Art, entworfen ſind. Das Tiſchgeſtell vor dem Bette hat er, wie Homer, von Elfenbein gemacht.
Das Hinterwerk des Gemaͤldes ſtellet eine praͤchtige griechiſche Bau⸗ kunſt vor, deren Verzierungen auf die Handlung ſelbſt zu deuten ſcheinen. Das Gebaͤlke an einem Portal tragen Carcatiden, die einander umfaſſen, als Bilder einer zaͤrtlichen Freundſchaft zwiſchen Vater und Sohn, und zugleich einer ehelichen Verbindung.
Der
8⁰ Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Der Kuͤnſtler zeigt ſich bey aller Wahrheit ſeiner Geſchichte, als ei⸗ nen Dichter, und er machte ſeine Nebenwerke allegoriſch, um gewiſſe Um⸗ ſtaͤnde durch Sinnbilder zu malen. Die Sphinxe an dem Bette des Prin⸗ zen deuteten auf die Nachforſchung des Arztes, und auf die date Entde⸗ ckung der Urſach von der Krankheit deſſelben. |
Man hat mir erzählt, daß junge Kuͤnſtler jenfeits der Gebürge, die dieſes Meiſterſtuͤck geſehen, da ihnen der Arm des Prinzen, der etwa um eine Linie zu ſtark ſeyn mag, ins Geſicht gefallen, vorbeygegangen, ohne nach den Vorwurf des Gemaͤldes ſelbſt zu fragen. Wenn auch Minerva | ſelbſt gewiſſen Leuten, wie dem Diomedes, wolte den Nebel wegnehmen, fo wuͤrden fie dennoch nicht erleuchtet werden.
— — Pauci dignoſcere poſſunt Vera bona atque illis multum diuerſa, remota e Erroris nebula. (st FR Sat.
Ich habe eine lange Eyiſode gemacht; ich finde es aber gleichwohl bil⸗ lig, ein Werk, welches unter die erſten in der Welt kann geſetzet werden, da es ſo wenig Kenner gefunden, bekannt zu machen. Ich komme 5 der auf die Schrift ſelbſt.
Ich weiß nicht, ob dam was in Raphaels Figuren der Begrif einer „edlen Einfalt und ſtillen Groͤſſe, in ſich faſſen ſoll, nicht viel allge— meiner durch die fo genannte „Natur in Ruhe, von zwey nahmhaften Scribenten * bezeichnet worden. Es iſt wahr, dieſe groſſe Lehre giebt
? N | ein St. Real Cefarion Oeuor. T. II. Le Blanc Lettre fur J expoſit. des
Ouvrages de Peint. etc. / an 174 conf. Mr, de Hagedorn i mens hifloriques fur fon Cabinet p. 37.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 81
ein vorzuͤgliches Kennzeichen der ſchoͤnſten griechiſchen Werke; aber die Anwendung derſelben bey jungen Zeichnern ohne Unterſchied, wuͤrde viel⸗ leicht eben fo beſorgliche Folgen haben, als die Lehre einer koͤrnigten Kuͤrze in der Schreibart bey jungen Leuten, welche ſie verleiten wuͤrde, trocken, hart und unfreundlich zu ſchreiben. „Bey jungen Leuten,, ſagt Cicero, „muß allezeit etwas überflüffiges ſeyn, wovon man etwas abzunehmen „finde: denn dasjenige, was gar zu ſchnell zur Reife gelanget iſt, kann nicht lange Saft behalten. Von Weinſtoͤcken find die gar zu jungen „Schoͤßlinge eher abgeſchnitten, als neue Reben gezogen, wenn der Staͤmm „nichts taugt, Auſſerdem werden Figuren in einer ungeruͤhrten Stille von dem groͤßten Theile der Menſchen angeſehen werden, ſo wie man eine Rede leſen würde, welche ehemahls vor den Areopagiten gehalten wor: den, wo ein ſcharfes Geſetz dem Redner alle Erregung auch der menſchlichſten und ſanfteſten Leidenſchaften unterſagte; ? und alle dergleichen Bilder wer: den Schildereyen von jungen Spartanern vorzuſtellen ſcheinen, die ihre Haͤn— de unter ihren Mantel verſtecken, in der größten Stille einhertreten, und ihr Augen nirgend wohin, ſondern vor ſich auf die Erde richten mußten. 3
Ueber die Allegorie in der Malerey bin ich mit dem Verfaſſer auch nicht vollig einerley Meinung. Durch die Anwendung derſelben in allen Vorſtellungen, und an allen Orten würde in der Malerey eben das gefche: hen, was der Meßkunſt durch die Algebre widerfahren iſt: der Zugang zur einen Kunſt würde fo ſchwer werden, als er zur andern geworden iſt. Es kann nicht fehlen, die Allegorie wuͤrde endlich aus allen Gemaͤlden Hieroglyphen machen. |
© de Oratore L. II. c. 2r. ” Ariftot. Rhet. L. I. c. I. H. 4 3 Xenoph. Refpl. Laced. c. g. H. 5.
8 ; Die
82 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Die Griechen ſelbſt haben nicht allgemein, wie uns der Verfaſſer uͤber⸗ reden will, egyptiſch gedacht. Der Plafond in dem Tempel der Jund zu Samos war nicht gelehrter gemalet, als die farneſiſche Gallerie. Es waren ! die Liebeshandel des Jupiters und der Juno; und in dem Fronton eines Tempels der Ceres zu Eleuſis war nichts, als die bloſſe Bor: ſtellung einer Gewohnheit bey dem Dienfte dieſer Göttin. * Es waren zwey groſſe Steine, die auf einander lagen, zwiſchen welchen die Prieſter alle Jahr eine ſchriftliche Anweiſung über die jährlichen Opfer hervorſuch⸗ ten; weil ſie niemals ein Jahr wie das andere waren.
Was die Vorſtellung desjenigen, was nicht ſinnlich iſt, betrift, ſo hätte ich mehr Erklaͤrung davon gewuͤnſcht; weil ich jemand fagen hören, es verhalte ſich mit Abbildung ſolcher Dinge, wie mit dem mathemati⸗ ſchen Puncte, der nur gedacht werden kann; und er ſtimmet demjenigen ben)? der die Malerey auf Dinge, welche nur ſichtbar find, einzuſchrenken ſchei— net. Denn was die Hieroglyphen betrift, fuhr er fort, durch welche die abgeſonderſten Ideen angedeutet werden: als 4 die Jugend durch die Zahl ſechszehn; die Unmoͤglichkeit durch zwey Fuͤſſe auf dem Waſſer; ſo muͤſte man dieſelben groͤßtentheils mehr vor Monogrammen, als vor Bil⸗ der halten. Eine ſolche Bilderſprache wuͤrde Gelegenheit geben zu neuen Chimaͤren, und wuͤrde ſchwerer, als die ſineſiſche zu erlernen ſeyn: die Gemaͤlde aber wuͤrden den Gemaͤlden a Nation n unaͤhnlich werden.
5 Parrha⸗ Origen. contra Celf. L. IV. p. 196. edit. Cantabr. 2 Perrault explic. de la planche IX. fur Vitruve p. 62.
3 Theodoret. Dial. Inconfus. p. 76. 4 Horapoll, Hierogl. L. c. 33. conf. Blakwall Engquiry of Homer, 5. 170.
in der Malerey und Wildhauerkunſt. 83
Parrhaſius, glaubt eben dieſer Widerſacher der Allegorien, habe alle Widerſpruͤche, die er bey den Athenienſern bemerket, ohne Huͤlfe der Alle— gorie vorſtellen konnen; und vielleicht hatte er es in mehr als einem Stuͤcke ausgefuͤhret. Wenn er es auf dieſe Art nimmt,
Et ſapit, & mecum facit, & Ioue iudicat aequo. H o E.
Das Todesurtheil über die Befehlshaber der athenienſiſchen Flotte, nach ih rem Siege uͤber die Lacedaͤmonier, bey den arginuſiſchen Inſeln, gab dem Kuͤnſtler ein ſehr ſinnliches und reiches Bild, die Athenienſer guͤtig und zugleich grauſam vorzuſtellen. |
Der beruͤhmte Theramenes, einer von den Befehlshabern, klagte feine Collegen an, daß fie die Körper der in der Schlacht gebliebenen nicht ge- ſammlet, und ihnen die letzte Ehre erweiſen laſſen. Dieſes war hinreichend, den groͤßten Theil des Volks in Wuth zu ſetzen wider die Sieger, von welchen nur ſechs nach Athen zuruͤck kamen; die uͤbrigen waren dem Sturm ausgewichen. Theramenes hielt eine ſehr ruͤhrende Rede, in welcher er öftere Pauſen machte, um die Klagen derjenigen, die ihre El⸗ tern oder Anverwandte verlohren hatten, hoͤren zu laſſen. Er ließ zu gleicher Zeit einen Menſchen auftreten, welcher vorgab, die letzten Wor⸗ te der ertrunkenen gehört zu haben, die um Rache geſchrien wider ihre Befehlshaber. Socrates der Weiſe, welcher damahls ein Glied des Raths war, erklaͤrte ſich nebſt etlichen andern wider die Anklage; aber vergebens: die tapferen Sieger wurden anſtatt der Ehrenbezeugungen, die ſie hoffen konnten, zum Tode verurtheilet. Einer unter ihnen war der einzige Sohn des Pericles von der beruͤhmten Aſpaſig.
L 2 Parrha⸗
84 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Parrhaſius, der dieſe Begebenheit erlebet hat, war um ſo viel geſchick⸗ ter, durch die wahren Character der hier handelnden Perſonen ſeinem Bilde ohne Allegorie eine Deutung zu geben, die weiter, als auf die bloſſe Vorſtellung einer Geſchichte gieng; als welche noch itzo einem Kuͤnſtler bequem genug ſeyn koͤnnte, eben den Widerſpruch in dem Character der Athenienſer zu ſchildern. f
Und endlich, meinet eben derſelbe, komme dasjenige, was man Kuͤnſt⸗ lern, und ſonderlich Malern in Abſicht der Allegorie aufzubuͤrden ſucht, auf eben die Forderung hinaus, die Columella an einen Landmann macht. Er! ſaͤhe gern, daß er ein Weltweiſer waͤre, wie Democritus, Pythago⸗ ras und Eudorus geweſen.
Kann man hoffen mit den Allegorien in Verzierungen gluͤcklicher zu ſeyn, als mit denen in Gemaͤlden? Mich deucht, der Verfaſſer wuͤrde mehr Schwierigkeit finden, ſeine vermeinte gelehrte Bilder hier anzubrin⸗ gen, als Virgil fand, die Namen eines Vibius Caudex, eines Tanaquil Lucumo, oder eines Decius Mus in heroiſche Verſe zu ſetzen.
Man ſolte vermuthen, das Muſchelwerk wuͤrde in Verzierungen der Baukunſt und ſonſt angebracht, nunmehro mit allgemeinen Beyfall ange⸗ nommen zu ſeyn ſcheinen kounen. Iſt denn weniger Natur in der Zierde, die daſſelbe geben ſoll, als in den corinthiſchen Capitaͤlern, wenn man auf den bekannten vorgegebenen Urſprung derſelben ſiehet? Ein Korb, den man auf das Grab eines jungen Maͤdgens von Corinth mit einigen Spiel⸗ ſachen von ihr angefuͤllet, geſetzt, und mit einem breiten Ziegel bedeckt hatte, gab Gelegenheit zu der Form dieſes Capitals. Es wuchs unter dem⸗
de re ruf. praef. ad L. I. H. 32. p. 392. edit. Geſu.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 85
demſelben die Pflanze Acanthus hervor, die denſelben bekleidete. Der Bildhauer Callimachus ! fand an dieſem bewachſenen Korbe ſo viel ar— tiges, daß er das erſte Capital zu einer corinthiſchen Saͤule nach dieſem Modelle arbeitete.
Dieſes Capital iſt alſo ein Korb mit Blaͤttern, und er ſoll das ganze Gebaͤlke auf einer Saͤule tragen. Vielleicht fand man es zu Pericles Zeiten noch nicht der Natur und Vernunft gemaͤß genug, da es einem berühmten Scribenten 2 fremde ſcheinet, daß man anſtatt der corinthi— ſchen Saͤulen, dem Tempel der Minerva zu Athen doriſche gegeben hat. Mit der Zeit wurde dieſe ſcheinbare Ungereimtheit zur Natur, und man gewoͤhnete ſich einen Korb, auf dem ein ganzes Gebaͤude ruhete, nicht mehr als anftöflig anzuſehen;
Quodque fuit vitium, definit eſſe mora. Onid. Art.
Unſere Kuͤnſtler uͤberſchreiten ja keine in der Kunſt vorgeſchriebene Ge⸗ ſetze, wenn fie neue Zierathen, die allezeit willkuͤrlich geweſen, erdenken: die Erfindung iſt itzo mit keinen Strafgeſetzen, wie bey den Egyptern, be⸗ leget. Das Gewaͤchs und die Form einer Muſchel haben jederzeit etwas ſo liebliches gehabt, daß Dichter und Kuͤnſtler ſo gar ungewoͤhnlich groſſe Muſcheln erdacht, und dieſelben der Göttin der Liebe zu einem Wagen zugegeben haben. Das Schild Ancile, welches bey den Römern eben das, was in Troja das Palladium war, hatte 3 Einfchnitte in Form einer Muſchel; und es find fo gar alte ? Lampen mit Muſcheln ge⸗ zieret. f | E. Die
PVitruv. L. IV. er, ® Pocock’s Travels T. II.
? Pluterch. Num. p. 149. 1. 14. edit. Bryani. * Pajeri ü Lucern.
85 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Die ſo leicht und frey gelegten muſchelfoͤrmigen Schilder ſcheinet die Natur ſelbſt nach den wunderbaren Wendungen unendlich Der: Serſchuerpen den Kuͤnſtlern dargebothen zu haben. | RT Es iſt meine Abſicht im geringſten nicht, mich zu einen Sachwalter der ungeſchickten Verzierer unſerer Zeit aufzuwerfen: ich will nur diejeni⸗ gen Gruͤnde einer ganzen Zunft (die Kuͤnſtler werden mir hier dieſes Wort verzeihen) anfuͤhren, durch welche dieſelbe die Gruͤndlichkeit ihres Verfahrens darzuthun geſucht haben; man wird d hier Billigkeit genug finden.
Es wird erzaͤhlet, die Maler und Bildhauer in Paris hatten dau gen, welche Verzierungen arbeiten, den Namen der Kuͤnſtler ſtreitig machen wollen, weil weder der Verſtand des Arbeiters noch des, Liebha⸗ bers in ihren Werken eine Beſchaͤftigung finde, indem ſie nicht durch die Natur, ſondern durch eine gezwungene Kunſt erzeuget worden. Ihre Vertheidigung ſoll folgende geweſen ſeyn.
Wir folgen der Natur in unſerer Arbeit, und unſere Gene ue bilden ſich, wie die Rinde eines Baums, aus verſchiedenen willkuͤrlichen Ein⸗ fehnitten in dieſelbe. Die Rinde waͤchſt in mancherley Geſtalten.
Alsdenn tritt die Kunſt zur ſpielenden Natur, und verbeſſert und hilft derſelben. Dieſes iſt der Weg, den wir in unſern Verzierungen nehmen und der Augenſchein giebt, daß die mehreſten derſelben, auch in den Werken der Alten, von Baͤumen, von Pflanzen, und deren 9 und Blumen genommen worden.
Die erſte und allgemeine Regel if alfo Sie die Sannigfafifei, (wenn man der angeführten Vertheidigung Recht will widerfahren laſſen)
und nach dieſer wuͤrkt die Natur, wie es ſcheinet, ohne Beobachtung ande⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 87 anderer Regeln. Dieſe Einſicht zeigte in den Verzicrungen diejenige Art, welche die heutigen Kuͤnſtler gewaͤhlet haben. Sie lerneten erkennen, daß in der Natur nichts dem andern gleich iſt; ſie giengen von der aͤngſtlichen Zwillingsform ab, und uͤberlieſſen den Theilen ihrer Verzierungen, ſich zuſammen zu fuͤgen, ſo wie Epicurs Atomen gethan. Eine Nation, die ſich in neuern Zeiten von allem Zwange in der buͤrgerlichen Geſellſchaft zu— erſt frey gemacht, wurde auch in der Freyheit in dieſem Theile der Kunſt unſer Lehrer. Man gab dieſer Art zu arbeiten die Benennung des Bar⸗ roquegeſchmacks, vermuthlich von einem Worte, 1 welches gebraucht wird bey Perlen und Zähnen, die von ungleicher Groͤſſe find. |
Und endlich hat ja eine Muſchel, glaube ich, eben ein ſo gutes Recht, ein Theil der Zierarthen zu ſeyn, als es ein Ochſen oder Schafskopf hat. Es iſt bekannt, daß die Alten dergleichen von der Haut entbloͤßte Köpfe in die Friſen, ſonderlich der doriſchen Säulensrdnung zwiſchen den Drey⸗ ſchlitzen, oder in die Metopen, geſetzt. Sie befinden ſich ſo gar in einem corinthiſchen Fries eines alten Tempels der Veſta 2 zu Tivoli: an Grabmaͤlern: wie an einem Grabmale des metelliſchen Geſchlechts bey Rom, und einem Grabmale des Munatius Plancus bey Gaeta: 3 an Vaſen: wie an zwey derſelben, unter den Königlichen Alterthuͤmern in Dreßden. Einige neuere Baumeiſter, die dieſe Köpfe vielleicht als un⸗ anſtaͤndig angeſehen, haben an deren Stelle ihre doriſchen Friſen theils“ mit Donnerkeilen, dergleichen Jupiter zu fuͤhren pfleget; wie Vignole: theils mit Roſen; wie Palladio und Scamozzi gezieret.
Wenn
Menage Diction. Etimol. v. Barrogue.
“ v. Desgodetz Edifices antig. de Rome p. gt. Biertoli Sepoleri antichi p. 67. ibid. fig. 97.
* Perrault Notes fur Vitruv. L. IV. ch. 2. u. 2l. p. u8.
88 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Wenn olſo Verzierungen eine Nachahmung des Spiels der Natur ſind, wie aus obigen folgen kann, ſo wird alle angebrachte Gelehrſamkeit der Allegorie dieſelben nicht ſchoͤner machen, ſondern vielmehr verderben. Man wird auch wahrhaftig nicht viel Exempel beybringen 2 wo die Alten allegoriſch gezieret haben.
Ich weiß z. E. nicht, was vor eine Schoͤnheit, oder vor eine Be- tung der beruͤhmte Graveur Mentor in der Eidere duct hat, die er ar einem! Becher gegraben. Denn
u picti ſquallentia terga lacerti e | Virg. Georg. IV. 13.
find zwar das lieblichſte Bild auf einem Blumenſtuͤcke einer Rachel Ruyſch, nicht aber auf einem Trinkgeſchirre. Was vor eine geheime Bedeutung haben Weinſtocke mit Voͤgeln, welche von den Trauben an denſelben freſ⸗ fen, auf einem = Aſchentopfe? Vielleicht find dieſe Bilder eben fo leer und willkürlich anzuſehen, als es die in einem Mantel gewuͤrkte Fabel vom Ganymedes iſt, mit welchem Aeneas den Cloanthus, als einen Preis in den Wettſpielen zu Schiffe, beſchenkte.
Und was vor widerſprechendes haben endlich Tropheen maße ein fürſt liches Jagdhaus? Glaubt der Verfaſſer, als ein eifriger Verfechter des griechiſchen Geſchmacks, es erſtrecke ſich derſelbe fo gar bis auf die Nach: ahmung Königs Philippi, und der Macedonier uͤberhaupt, von denen + Pauſanias meldet, daß fie ſich ſelbſt keine Tropheen errichtet haben? Ein
Dia⸗
*
Martial. L. III. Epigr. 41, l.
® Bellori Sepolcri antichi fig. 99.
? Virg. Aen. V. v. 250. feg.
IL. IX. c. 40. p. 794. conf. Spanheim Not. für ler Crfars de U Emp. Iu- lien. P. 240.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 89 Diana mit einigen Nymphen in ihrem Gefolge, nebſt ihrem übrigen Jagd⸗ zeuge, Quales exercet Diana clioros, quai mille ſecutae Hinc atque hine glomerantur Oreades— — g Virg.
ſchiene etwa dem Orte gemäffer zu ſeyn. Die alten Romer haͤngeten ja auſſen an der Thuͤre ihrer Haͤuſer die Waffen uͤberwundener Feinde auf, die der Kaͤufer nicht herabnehmen durfte, um dem Eigenthuͤmer des Hauſes eine immerwaͤhrende Erinnerung zur Tapferkeit zu geben. Hat man bey Tropheen vorzeiten dieſe Abſicht gehabt, fo glaube ich, koͤnnen die: ſelbe nirgend zur Unzeit fuͤr groſſe Herren angebracht werden. |
Ich wuͤnſche bald eine Antwort auf mein Schreiben zu ſehen. Es kann Sie, mein Freund, nicht ſehr befremden, daß es öffentlich erſcheinet: in der Zunft der Schriftſteller iſt man ſeit einiger Zeit mit Briefen verfahren, wie auf dem Theater, wo ein Liebhaber, der mit ſich ſelbſt ſpricht, zu gleicher Zeit das ganze Parterre als ſeine vertrauteſten Freunde anſiehet. Man findet es aber im Gegentheil nicht weniger billig, Antworten
Quos legeret tereretque viritim publicus uſus
8 H OR. anzunehmen,
— & hanc veniam petimuſque damuſque viciſſim.
H OR.
M Nach-
Nachricht bon einer Mumie
in dem Koͤniglichen Cabinet der Alterthuͤmer in Dreßden.
nter den egyptiſchen Mumien des Koͤniglichen Cabinets befinden ſich zwey, welche vollkommen unverſehrt erhalten worden: ein Koͤrper eines Mannes und eines Frauenzimmers. Die erſte iſt vielleicht die ein⸗ zige Mumie in ihrer Art von allen denen, welche nach Europa gebracht und bekannt worden ſind; und dieſes wegen einer Schrift, die ſich auf der⸗ ſelben befindet. Auſſer dem della Valle haben alle diejenigen, welche von Mumien geſchrieben, dergleichen auf egyptiſchen Koͤrpern, welche ſie geſehen haben, nicht entdecket; und Kircher hat unter den Abzeichnungen von Mumien, die ihm von verſchiedenen Orten mitgetheilet worden, und die er in ſeinem egyptiſchen Oedipo beygebracht hat, nur die einzige mit einer Schrift, welche della Valle beſeſſen, und von welcher uns jener eine unrichtige Vorſtellung in! Holzſchnitt gegeben; und fo find die? Copien, welche nach derſelben gemacht ſind. Auf dieſer Mumie ſtehen die Buch⸗ ſtaben ETA T XI. | Eben dieſelbe Schrift ſtehet auf derjenigen Königlichen Mumie, von welcher hier eine kleine Nachricht folgen wird. Ich habe dieſelbe mit aller
nur Hircheri Oedip. Aegypt. T. III. p, 405. & p. 433.
2 Bianchini Iftor. Vniu. p. 42.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. gt
nur möglichen Aufmerkſamkeit unterſucht, um verfichert zu ſeyn, daß dieſel⸗ be nicht etwa von einer neuen Hand (da man weiß, daß auch dergleichen Koͤr⸗ per durch der Juden Haͤnde gehen) nach der von della Valle angegebenen Schrift, auf dieſer nachgemacht worden. Es findet ſich aber ganz deut⸗ lich, daß die Buchſtaben mit eben der ſchwaͤrzlichen Farbe gezogen wor⸗ den, mit welcher das Geſicht, die Haͤnde und Fuͤſſe gemalet ſind. Der erſte Buchſtab auf unſerer Mumie hat die Form eines groſſen runden griechiſchen E, und eben dieſer Buchſtab iſt von della Valle mit einem eckigten E angezeiget, weil man in Druckereyen kein rundes € fuͤhret.
Alle vier Mumien des Koͤnigl. Cabinets ſind in Rom, wie man weiß, erhandelt, und dieſe Nachricht bewog mich zu unterſuchen, ob die Mumie mit der Schrift nicht etwa eben diejenige ſey, welche della Valle beſeſſen. Ich fand, daß die umſtaͤndliche Beſchreibung ſeiner zwo Mumien mit den beyden unverſehrten Koͤnigl. Mumien vollkommen auch in den klein⸗ ſten Verzierungen uͤbereinſtimmete.
Dieſe beyden Mumien ſind uͤber die gewöhnlichen leinen Binden, wo⸗ mit dergleichen Körper unzaͤhliche mahl pflegen bewunden zu ſeyn, und welche nach Art eines Barrecan gewebet worden, in verſchiedene (und wie jemand man einer Mumie in Engeland bemerken wollen in drey) Arten von groͤberer Leinwand eingewickelt. Dieſe Leinwand it durch beſondere Baͤnder, faſt wie Gurte, jedoch ſchmaͤler gearbeitet, befeſtiget, dergeftalt, daß nicht die geringſte Erhobenheit eines Theils des Geſichts zu ſehen. Die oberſte Decke iſt eine feine Leinewand, welche mit einem gewiſſen duͤnnen Grund übertragen, haͤufig vergoldet, und mit allerhand Figuren gezieret iſt: auf derſelben iſt die Figur des Verſtorbenen gemalet. |
M 2 Auf Neſient. Grew. Mufaeum Societ. Reg. Lond. 1681. fol, p. 2.
92. Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Auf der Mumie mit der Schrift bezeichnet, zeiget ſich die Figur eines Mannes, der in ſeinen beſten Jahren verſtorben, mit wenigem und krauſen Barthaare, nicht aber, wie ihn Kircher vorgeſtellet, als ein alter Greis mit einem langen und ſpitzen Barte. Die Farbe des Geſichts und der Haͤnde iſt braun: der Kopf iſt umgeben mit vergoldeten Hauptbin⸗ den, auf denen koͤſtliche Steine angedeutet worden. Am Halſe iſt eine goldene Kette gemalt, an welcher eine Art von einer Muͤnze mit verſchiede⸗ nen Charactern, halben Monden u. ſ. w. bezeichnet, haͤnget, und uͤber der⸗ ſelben raget der Hals eines Vogels hervor, welches vermuthlich ein Sper⸗ ber oder ein Habicht war; man hat ihn auch auf andern Mumien auf der Bruſt gefunden. In der rechten Hand halt die Perſon eine vergoldete Taſſe mit etwas rothen angefuͤllet; und da die Prieſter dergleichen 2 bey den Opfern fuͤhreten, fo konnte man muthmaſſen, der verſtorbene fen ein Prieſter geweſen. An der linken Hand haben der Zeigefinger und der kleine Finger einen Ring, und in dieſer Hand iſt etwas rundes von dun⸗ kelbrauner Farbe, welches della Valle vor eine nahmhafte Frucht ausgiebt. Die Fuͤſſe ſind wie die Beine blos, und mit Sohlen, von denen die Baͤn⸗ der zwiſchen den groſſen Zehen hervorgehen, und mit einer Schleife auf dem Fuſe ſelbſt befeſtiget ſind.
Unter der Bruſt ſtehet erwehnte Schrift
Auf der zweyten Mumie iſt die Figur eines jungen Frauenzimmers mit noch mehr Zierathen vorgeſtellet. Auſſer den vielen gleichſam vergol⸗ deten Muͤnzen und andern Figuren, ſiehet man gewiſſe Vögel und vier⸗ fuͤſſige Thiere, die etwas aͤhnliches mit einem Loͤwen haben; und naͤher gegen das Ende des Körpers einen Ochſen, welches vielleicht ein Apis 5
| n
v. Cabr. Bremoud Viaggi nell Egitto, Roma, 1059. 4. p. L. I. c. f p. 77. Clem. Alex. Strom. L. VI. p. 450.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 93
An einer von den Ketten, welche die Perſon am Halſe traͤgt, haͤngt ein vergoldetes Bild der Sonne. Sie hat Ohrgehaͤnge, und an beyden Ar⸗ men doppelte Armbaͤnder: an beyden Haͤnden Ringe, und an der linken Hand auf jeden Finger beſonders einen: der Zeigefinger aber hat noch auſſer dem einen Ring unter dem Nagel ſtecken: an der rechten Hand aber, ſind nur zwey Ringe. Mit dieſer Hand Halt die Figur, fo wie die Iſis, ein kleines vergoldetes Gefaͤß, von der Art, wie der Griechen ihr Spondeion war, welches bey der Goͤttin die Fruchtbarkeit des Nils bedeutete: in der linken Hand, iſt eine Art von Frucht, welche die Geſtalt von Kornaͤhren hat, und ins gruͤnliche faͤlt.
An der erſten Mumie haͤngen noch Siegel von Bley: ſo wie della Valle meldet.
dan vergleiche dieſe Beſchreibung mit derjenigen, welche della Valle in feinen Reiſen? von feinen zwo Mumien giebt, man wird finden, daß die Koͤniglichen Mumien in Dreßden eben dieſelben ſind, die ein Egypter eben dem beruͤhmten Reiſenden aus einer mit Sand verſchuͤtteten tiefen Gruft (oder Brunnen) gezogen, und ihm verkauft hat; und ich glaube; daß ſie von den Erben des della Valle in Rom erhandelt worden. In dem geſchriebenen Verzeichniſſe bey dieſem Cabinet der Al terlhümer findet ſich uͤber dem Kaufe nicht die geringſte Nachricht.
Meine Abſicht iſt nicht, mich in Erklaͤrung der Zierathen und Figuren einzulaſſen; man kann ſich hieruͤber einigermaſſen unterrichten aus dem⸗ jenigen, was della Valle ſelbſt beygebracht hat: ich werde nur allein uͤber gemeldete Schrift einige Anmerkungen machen.
M3 Die⸗
* Shaw Voyag. T. II. p. 123. della Valle Hiaggi Lettr. u. G. 9. P. 325.feg-
94 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Die Egypter haben, wie bekannt iſt, einen doppelten Character ſich auszudruͤcken gehabt, einen heiligen und einen gemeinen. Der erſte war dasjenige, was wir Hieroglyphen nennen: der andere begrif ihre ge⸗ woͤhnliche Sprachzeichen, die allen Egyptern bekannt waren; und von
dieſen glaubt man durchgehends ſey nichts auf unſere Zeiten kommen. Wir wiſſen nichts weiter, als daß 25 Buchſtaben 2 im egyptiſchen Al⸗ phabet geweſen. Della Valle iſt ſehr geneigt, durch die Schrift auf der Mumie das Gegentheil zu zeigen; und Kircher treibt ſeine Muthmaſſungen noch weiter, und ſucht auf dieſelbe ein neues Gebaͤude aufzufuͤhren, wel⸗ ches er durch ein paar Ueberbleibſel von eben der Art zu unterſtuͤtzen ver⸗ meinet. Er will beweiſen, s daß die alte egyptiſche Sprache von der griechiſchen nicht weiter, als in der Mundart verſchieden geweſen. Nach der Gabe, welche er beſeſſen, etwas zu finden, wo es niemand geſucht haͤt⸗ te, entſiehet er ſich nicht, einigen alten hiſtoriſchen Nachrichten eine ange⸗ dichtete Auslegung zu geben, um ſie zu ſeiner Abſicht zu gebrauchen.
Herodot, ſagt er, berichtet, der Koͤnig Pſammetichus habe Leute, die ihrer Sprache vollkommen maͤchtig geweſen, aus Griechenland nach Egyp⸗ ten kommen laſſen, um ſeiner Nation die Reinigkeit der Sprache zu leh⸗ ren. Folglich, ſchließt er, war in beyden Laͤndern einerley Sprache. Der griechiſche Geſchichtſchreiber 4 aber ſagt gerade das Gegentheil. Ob⸗ gedachter König hat ſich, nach feinem ausdrücklichen Berichte, der Jonier und Carier, welche die Freyheit erhalten, ſich in Egypten niederzulaſſen, bedienet, junge Leute in der griechiſchen Sprache e, zu laſſen, um Dolmetſcher zu ziehen. *
Kir⸗
Herodot. L. II. c. 36. Diod. Sic.
” Plutarch. de Ifid. & Ofir. p. 374. u ? Kircher Oedip. I. c. Ej. Prodrom. Copt. c. 7. Htrodot. L. II. c. 3.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 95
Kirchers uͤbrige vermeinte Beweiſe, dergleichen er aus den vielen Reiſen der griechiſchen Weltweiſen nach Egypten, und aus dem Verkehr beyder Nationen ziehet, die aber nicht einmahl die Staͤrke der Muthmaſ⸗ ſungen haben, ſind hier nicht anzufuͤhren. Denn aus der Wiſſenſchaft, wel— che Demoeritus in der heiligen Sprache der Babylonier und Egypter er langet,! iſt klar, daß die Weltweiſen allerdings die Sprache der Laͤnder erlernet, welche ſie beſucht haben. -
Ich weiß auch nicht, ob das Zeugniß des Diodorus, daß die erſten Einwohner in Attica eine egyptiſche Colonie? geweſen, hier zu einigem Beweiſe dienen koͤnnte.
Die Schrift auf der Mumie wuͤrde zu kircheriſchen oder aͤhnlichen Muthmaſſungen Anlaß geben koͤnnen, wenn die Mumie ſelbſt dasjenige Alterthum haͤtte, welches ihr Kircher giebt. Cambyſes, welcher Egypten erobert, hat die Prieſter theils verjaget, theils umbringen laſſen; und Kircher behauptet aus dieſer Nachricht, daß er den Dienſt der Götter im ganzen Reiche abgeſchaffet habe, und daß folglich kein Koͤrper mehr balſamiret worden. Er berufet 3 ſich abermahls auf den Herodot, und andere haben auf ſein Wort getreulich nachgeſchrieben. Es hat jemaud noch mehr wiſſen wollen, indem er vorgegeben, die Egypter und Aethio— pier hätten nur bis auf den Cambyſes ihre verſtorbenen + auf uͤberkleiſter⸗ ten Leinen ihrer Mumien gemalet.
Herodot aber ſagt kein Wort von gaͤnzlicher Abſchaffung des Gottes⸗ dienſts in Egypten, und noch weniger von Aufhebung des Gebrauchs, Diogen. Eaert. v. Democr. . * Diodor. Sic. L. I. c. 29. edit. Wejel.
? Kircher. Oedip. J. c. — it. ale China illuſtrata. P III. c. 4. p. 15t. Alberti englifche Briefe B. 9 2
96 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
ihre Koͤrper vor der Faͤulniß zu verwahren, nach des Cambyſes Zeiten; und im Diodor von Sieilien iſt ebenfalls nichts dergleichen zu finden: es iſt vielmehr aus ſeiner Nachricht, die er von den Anſtalten der Egypter mit ihren Todten giebt, zu ſchlieſſen; daß dieſelben noch zu ſeiner Zeit, das iſt, da Egypten ſchon eine romiſche Provinz war, uͤblich geweſen.
Es iſt alſo nicht zu erweiſen, daß unſere Mumie älter ſey, als die perſiſche Eroberung von Egypten: und wenn ſie es auch waͤre, ſo weis ich nicht, ob nothwendig daraus folge, daß eine Schrift auf einem Koͤr⸗ per, der auf egyptiſche Art gehandhabet worden, ich will auch ſetzen, der durch ihrer Prieſter Haͤnde gegangen, in egyptiſcher Sprache ſeyn muͤſſe.
Es kann ein Körper vielleicht eines in gewiſſer Maaſſe nationaliſirten Joniers oder Cariers ſeyn. Man weis, daß Pythagoras ſich zu der Re⸗ ligion der Egypter bekennet, und daß er ſich ſo gar! beſchneiden laſſen, um ſich den Zutritt zu der verſteckten Wiſſenſchaft der Prieſter dadurch zu erleichtern. Ja die Carier feyerten den Dienſt der Iſis nach Art der Egypter, und giengen noch weiter als dieſe in dem Aberglauben; ſie zer⸗ fetzten ſich fo gar das Geſicht bey den Opfern an die Göttin.
Das Wort auf der Mumie iſt ein griechiſches Wort, wenn anſtatt des ‚ der Diphtonge er gefeßt wird: oder es iſt hier aus Nachlaͤſſigkeit eine gewöhnliche Verwechſelung geſchehen, 3 die man auf griechiſchen Mar⸗ morn, noch mehr aber in Handſchriften wahrgenommen hat; und mit „ eben dieſer Endung findet ſich dieſes Wort “ auf einem geſchnittenen Steine und bedeutet: Lebe wohl. Es war der gewohnliche Nachruf der
| leben⸗ Clem. Alex. Strom. L. I. p. 354 edit. Pott. 2 Herod. L. II. c. gi. 3 Montfanton Palarogr. grata I. IH. c. F. H. 250. Kuhn. Not. ad Pau- fan. L. II. p. 25. Auguſtin. Genum. P. II. tab. 32
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 97
lebenden an die verſtorbene, und eben dieſes Wort findet ſich auf alten! Grabſchriften ſo wohl, als offentlichen 2 Verordnungen; in e war s ein gewöhnlicher 3 Schluß.
Auf einer alten Grabſchrift findet ſich das Wort EYLYXI; 4 die Form des Y auf alten Steinen und Handſchriften kommts dem dritten Buchſtaben in dem Worte ETA IXI völlig bey, und es koͤnnte auch fuͤr das letztere genommen ſeyn.
Iſt aber die Mumie ein Körper aus ſpaͤteren Zeiten, fo iſt die Ver⸗ muthung eines griechiſchen Worts auf derſelben nach meiner Meinung noch leichter zu finden. Die runde Form des E wuͤrde nach dem ver- meinten Alterthume deſſelben, uͤber die Schrift einigen Verdacht erwecken koͤnnen. Man hat den Buchſtaben in dieſer Form weder auf Steinen noch auf Münzen, die von Kaiſer Auguſtus Zeit gemacht worden, ange: troffen. Allein auch dieſer Verdacht wird gehoben, wenn man annimmt, daß die Egypter nicht allein bis auf Auguſtus Zeiten, ſondern vielleicht auch nachher fortgefahren, ihre Koͤrper zu balſamiren.
Egyptiſch kann das Wort, wo von die Rede iſt, nicht ſeyn. Denn erſtlich zeugen die Ueberbleibſel dieſer alten Sprache in der heutigen copti⸗ ſchen dawider; hernach iſt das Wort von der Linken zur Rechten geſchrie⸗ ben; wie dieſes auch an dem Zuge 7 gewiſſer egyptiſcher Charactere be⸗
mer⸗ ruter Corp. Inſer. p. DCCCIXI. zuruxsire Xaieere. 2 Prideaux Marm. Oxon. 4. & 179. ® Demofih. Orat. pro Corona p. 485. & 499. edit. Frf. 1604. * Gruter. Corp. Infer. p. DCXLI. 8. ° Montfaucon. Palaeogr. L. IV. c. ib. p. 336. 338. Mont faucon. I. c. L. II. c. C. p. ı$2. A * de ! Egypt. par . ier. Lettr. VII. p. 23. N
98 Von der Rachah mung der were Werke
merkt worden: welches bey den Egyptern umgekehrt geſchahe, 1 ſo wie auch die Hetrurier geſchrieben haben. Diejenige Schrift aber wel⸗ che Maillet entdecket, hat von niemand können erklaͤret werden. Die Griechen hingegen haben ſchon 600. Jahr vor der chriſtlichen Zeitrech⸗ nung die Manier aller Abendlaͤnder im Schreiben gehabt, wie die ſigaͤ⸗ iſche Aufſchrift, der man ein ſolches Alter giebt, zeigen kann. Eben dieſes gilt von der Schrift auf einem Stücke Stein +” mit egyptiſchen Figuren, die dem P. Kircher von Carl Vintimiglia, einem Patritio aus Palermo, mitgetheilet worden. Die Buchſtaben ITIYIXI find zwey Worte, und bedeuten; „es komme die Seele. „„ Mit dieſem Steine iſt eben das geſchehen, was mit dem geſchnittenen Kopfe Königs Ptolomaͤus Philopator vorgenommen iſt. Hier hat eine egyptiſche Hand zwey unfoͤrmliche Figuren hinzugefuͤget, und auf gedachtem Steine kann die Schrift ein Zuſatz von einem Griechen ſeyn. Die Sprachkundigen | werden wiſſen, daß man nicht viel zu andern noͤthig hat, um en in die Rechtſchreibung zu ſehen. | 5
Herod. L. II. Deſcript. de l Egypte. I. e. 3 Neu Inſer Sig. p. 12. ue 5 * * Kircher. Obeli uf; Pamph,. 6. 8. 1 14:7 f 5 F
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Exlaͤuterung der Gedanken
von der |
Nachahmung der griechiſchen . erke
Malerey und Bildhauerkunſt;
Beantwortung des Sendſchreibens über dieſe Gedanken.
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Erläuterung der Gedanken
ert a von der Nachahmung der griechiſchen Werke Mäalerey und Bild hauerkunſt;
Beantwortung des Sendſchreibens uͤber dieſe Gedanken.
merken verdienen, und Urtheile uͤber ſich erwecken wuͤrde. Sie iſt nur für einige Kenner der Kuͤnſte geſchrieben, und dieſerwegen ſchien es uͤberfluͤſſig, ihr einen gewiſſen gelehr⸗
ten Anſtrich zu geben, den eine gi durch Anfuͤhrungen von Büchern 5 2 er
*
102 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke erhalten kann. Kuͤnſtler verſtehen, was man mit halben Worten von der Kunſt ſchreibet, und da es der größte Theil unter ihnen vor „thoͤrigt hält,, und halten muß, „auf das Leſen mehr Zeit zu wenden als auf das „Arbeiten „, wie ein alter Redner lehret, fo macht man, wenn man ſie nichts neues lehren kann, ſich wenigſtens durch die Kuͤrze bey ihnen gefällig; und ich bin überhaupt der Meinung, da das fchöne in der Kunſt mehr auf feine Sinnen und auf einen gelaͤuterten Geſchmack, als auf ein tiefes Nachdenken beruhet, daß des Neoptolemus Satz, „yhiloſophire; „aber mit wenigen,, ſonderlich in Schriften dieſer Art zu beobachten ſey. Einige Stellen in meiner Schrift wuͤrden eine Erklaͤrung annehmen,
und da eines ungenannten Erinnerungen uͤber dieſelbe an das Licht getre⸗ ten ſind, ſo waͤre es billig, daß ich mich erklaͤrte und zugleich antwortete. Die Umſtaͤnde aber, in welchen ich mich bey meiner nahe bevorſtehenden Reiſe befinde, ee mir weder dieſes noch jenes nach meinen gemach⸗ ten Entwurfe auszufuͤhren. Von etlichen Bedenken wird auch der Ver⸗ faſſer des Sendſchreibens, ſeiner Billigkeit gemaͤß, meine Antwort im voraus haben errathen koͤnnen; nemlich keine Antwort zu erhalten. Eben fo ungeruͤhrt höre ich das Geſchrey wider die Stücke vom Correggio an, von denen man gewiß weiß, daß fie nicht allein nach Schweden * gekom⸗ men, ſondern daß ſie auch im koͤniglichen Stalle zu Stockholm gehaͤn⸗ get haben. T Meine Vertheidigung wuͤrde wenigſtens nicht viel anders "Gi. de Orat. L. II. c. 37.
Argenuille Abregò de la Vie des Peintr. T. II. 2. 287. | ”
+ Man fönnte denenjenigen, welche die Geſchlechtsregiſter der Gemälde ſtudtren, noch eins und das andere Stuͤck von den größten . Meiſtern, nebſt einer
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 103 werden, als des Aemilius Scaurus ſeine wider den Valerius von Sucro war: „dieſer . ich bejahe; Römer! wem von beyden „glaubt ihr 2, |
Im uͤbrigen kann dieſe Nachricht Mi weniger bey mir als bey den Hn. Grafen von Teſſin ſelbſt zum Nachtheil der ſchwediſchen Nation ge⸗ deutet werden. Ich weiß nicht, ob der beleſene Verfaſſer der umſtaͤndli⸗ chen Lebensbeſchreibung der Koͤnigin Chriſtina anders geurtheilet hat; weil er uns ohne alle Nachricht gelaſſen uͤber den Schatz von Gemaͤlden, der von Prag nach Stockholm gebracht worden; uͤber die gegen den Maler Bourdon bezeugte unerfahrne Freygebigkeit der Koͤnigin; und uͤber den ſchlechten Gebrauch, den man von ſo beruͤhmten Stuͤcken des Correggio ge⸗ macht hat. In einer Reiſebeſchreibung durch Schweden! von einem beruͤhm⸗ ten Manne in Dienften dieſer Crone wird gemeldet, daß in Lincdping ein mit ſieben Docenten verſehenes Gymnaſium, aber kein einziger Handwerker noch Arzt ſey. Dieſes konnte dem Verfaſſer uͤbel gedeutet werden, und gleichwohl muß es nicht geſchehen >
| m; Ueber
einer Folge von Sefigern derſelben, namhaft machen von denen, welche ehe⸗ mals in Schweden geweſen ſind. Die Zerſtoͤrung der Stadt Troja von Fride⸗ rich Barocci, iſt ein ſolches. Es kam vermittelſt des Herzogs von Urbino
in Kaiſer * Rudolphs II. Hände, und befindet ſich itzo in des Herzogs von Orleans Gallerie.“ In der Beſchreibung derſelben geſchiehet keine Meldung, woher es gekommen. Eben dieſe Vorſtellung von eben dem Meiſter iſt in dem “ borgheſiſchen Pallaſte zu Rom.
Baldinucci Notiz. de Profeſſ. del diſagno. Fiorenz. 1702, fol. p. 13.124, St. Gelais Defer. du Cabinet W . 159. * Baldinucci Notiz. I. c.
Freyh. Haͤrlemanns Reiſe durch einige ſchwediſche Prov. p. 25
104 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Ueber die Nachlaͤſſigkeiten in den Werken der griechiſchen Kuͤnſtler wuͤrde ich mich bey erlaubter Muffe umſtaͤndlicher erklaͤret haben. Die Griechen kannten die gelehrte Nachlaͤſſigkeit; wie ihr Urtheil uͤber das Rebhun des Protogenes zeiget: aber man weiß auch, » daß es der Ma⸗ ler ganz und gar ausgelöfcher hat, Der Jupiter des Phidias aber war nach den erhabenſten Begriffen der Gottheit, die alles erfuͤllet, gearbeitet; es war ein Bild wie des Homers 2 Eris, die auf der Erde ſtand, und mit dem Kopf bis in den Himmel reichte; es war gleichſam nach dem Sinn der heiligſten Dichtkunſt entworfen: „Wer kann ihn faſſen ꝛc. Man iſt ſo billig geweſen, dergleichen Freyheit, die ſich Raphael genom⸗ men, von den natürlichen Verhaͤltniſſen in feinem Carton vom Fiſchzuge Petri abzugehen, 3 zu entſchuldigen, ja dieſelbe noͤthig zu finden. Die Critic uͤber den Diomedes ſcheinet mir gruͤndlich; aber deswegen nicht wider mich: Die Action deſſelben an und vor ſich betrachtet, der edle Umriß und der Ausdruck werden allezeit unſern Kuͤnſtlern ein groſſes Beyſpiel zur Nachahmung bleiben koͤnnen: und weiter war der Diome⸗ des des Dioſcorides meiner Abſicht nicht gemaͤß. 5
Meine Gedanken von der Nachahmung der griechiſchen Werke in der Malerey und Bildhauerkunſt betreffen vier Hauptpuncte. I. von der voll⸗ kommenen Natur der Griechen. II. Von dem Vorzug ihrer Werke. III. Von der Nachahmung derſelben. TIL Von der Griechen ihrer Art zu denken in Werken der Kunſt, ſonderlich von der Allegorie.
Den erſten Punct habe ich wahrſcheinlich zu machen geſuchet: bis zur völligen Ueberzeugung werde ich hier, auch mit den ſeltenſten Nachrichten
nicht
" Strabo L. XIV. p. 652. al. 965. 1. ii.
II. d“ v. 442. | Kichardſon Eſſai etc. p. 38.39.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 105
nicht gelangen koͤnnen. Dieſe Vorzüge der Griechen feheinen ſich viel- leicht weniger auf die Natur ſelbſt, und auf den Einfluß des Himmels, als auf die Erziehung derſelben zu gruͤnden.
Unterdeſſen war die gluͤckſeelige Lage ihres Landes allezeit die Grund: urſach, und die Verſchiedenheit der Luft und der Nahrung machte unter den Griechen ſelbſt den Unterſchied, der zwiſchen den Athenienſern und ihren naͤchſten Nachbarn jenſeit des Gebuͤrges war.
Die Natur eines jeden Landes hat ihren Eingebohrnen ſo wohl, als ihren neuen Ankoͤmlingen eine ihr einige Geſtalt, und eine aͤhnliche Art zu denken gegeben. Die alten Gallier waren eine Nation, wie es die Franken aus Deutſchland, ihre Nachkommen geworden ſind. Die erſte und blinde Wuth in Angriffen war jenen ſchon zu Caͤſars Zeiten? eben ſo nachtheilig, wie es ſich bey dieſen in neuern Zeiten gezeiget hat. Jene hatten gewiſſe andere Eigenſchaften, welche der Nation noch itzo eigen find, und Kaiſer Julian; berichtet, daß zu feiner Zeit mehr Tänzer, als Buͤrger in Paris geweſen.
Die Spanier hingegen handelten allezeit behutſam und mit einem gewiſſen kalten Blute; und eben dadurch machten fie den Roͤmern die Eroberung ihres Landes fo ſchwer. 4
Man urtheile, ob die Weſtgothen, Mauritanier, und andere Volker, die dieſes Land uͤberſchwemmet, nicht den Character der alten Iberier an⸗ genommen haben. Man nehme die Vergleichung zu Huͤlfe, die ein be—⸗
ruͤhm⸗ Cic. de Fato, c. 4. Strabo L. IV. p. 196. al. 299. 1. 22.
Miſopog. p. 342. 1. 13.
4 Strabo L. III. p. 158. al. 238.
106 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
rüͤhmter Scribent bey einigen Nationen uͤber die ehemaligen und ieeigen Eigenſchaften derſelben machet.
Eben ſo wuͤrkſam muß ſich auch der Himmel und die Luft bey den Griechen in ihren Hervorbringungen gezeiget haben, und dieſe Wirkung muß der vorzuͤglichen Lage des Landes gemäß geweſen ſeyn. Eine? ge: maͤſſigte Witterung regierte durch alle Jahrszeiten hindurch, und die kuͤh⸗ len Winde aus der See uͤberſtrichen die wolluͤſtgen Inſeln im ioniſchen Meere, und die Seegeſtade des feſten Landes; und vermuthlich auch aus dieſem Grunde waren im Peloponnes alle Orte an der See angeleget, wie Cicero 3 aus des Dicaͤarchus Schriften zu behaupten ſuchet.
Unter einem fo gemäffigten, und zwiſchen Wärme und Kaͤlte gleich: ſam abgewogenen Himmel ſpuͤret die Creatur einen gleich ausgetheilten Einfluß deſſelben. Alle Früchte erhalten ihre völlige Reife, und ſelbſt die wilden Arten derſelben gehen in eine beſſere Natur hinuͤber; ſo wie bey Thieren, welche beſſer gedeyen und öfter werfen. Ein ſolcher Him⸗ mel, ſagt + Hippocrates, bildet unter Menſchen die ſchoͤnſten und wohl⸗ gebildeteſten Geſchoͤpfe und Gewaͤchſe, und eine Uebereinſtimmung der Nei⸗ gungen mit der Geſtalt. Das Land der ſchoͤnen Menſchen, Georgien, beweiſet dieſes, welches ein reiner und heiterer Himmel mit Fruchtbarkeit erfüllet. 5 Das Waſſer allein ſoll fo viel Antheil haben an unſerer Ge: ſtalt, daß die Indianer“ ſagen, es koͤnne keine Schönheiten geben in
Laͤn⸗ du Bor Reflex. fur la Poefie & fur la Peint. T. II. p. 144. 2 Herodot. L. III. c. 106, ? Cic. ad Aitit. . Fl.. 2. 4 Ilegi rb P. ‚288. edit. Foefi. Calenuf ri va vis Vu vn vel red
oo cl oro rer. fol. 171. B. I. 43. edit. Aldiu. T. J.
3-Chardin Voyage en Perfe T. II. p. 227. feg. Journal des Scavans Pan 1684. Aur. p. 153.
in der Malerey und VBildhauerkunſt. toy
Ländern, wo kein gut Waſſer ſey; und das Orakel ſelbſt giebt dem Waſ⸗ fer der Arethuſe n die Wuͤrkung, ſchoͤne Menſchen zu machen.
Mich Deucht, man könne auch aus der Sprache der Griechen auf die Beſchaffenheit ihrer Koͤrper urtheilen. Die Natur bildet bey jedem Vol⸗ ke die Werkzeuge der Sprache nach dem Einfluſſe des Himmels in ihren Laͤndern, alſo daß es Geſchlechter giebt, welche wie die Troglodyten mehr pfeifen als reden, und andere, die ohne Bewegung; der Lippen ve: den koͤnnen. Die Phaſianer in Griechenland hatten, wie man es von den Engelaͤndern + ſagt, einen heiſeren Laut.
Unter einem rauchen Himmel werden harte Tone formirt, und die Theile des Koͤrpers, welche hierzu dienen, haben nicht die feinſten ſeyn duͤrfen.
Der Vorzug der griechifchen vor allen bekannten Sprachen iſt unſtrei⸗ tig: ich rede hier nicht von dem Reichthume, ſondern von dem Wohlklange derſelben. Alle nordiſche Sprachen find mit 5 Conſonanten uͤberladen, welches ihnen oftmals ein unfreundliches Weſen giebt. In der griechi⸗ ſchen Sprache hingegen ſind die Vocalen mit jenen dergeſtalt abgewechſelt, daß ein jeder Conſonant ſeinen Vocalen hat, der ihn begleitet: zwey Vocalen aber ſtehen nicht leicht bey einem Conſonant, daß nicht ſo gleich durch die Zuſammenziehung zwey in einem ſolten gezogen werden. Das ſanfte der Sprache leidet nicht, daß ſich eine Sylbe mit den drey rauhen
2 Buch⸗ * ap. Eufeb. Pratnar Kuang. L. V. c. 29. p. 226. edit. Colon. 2 Plin. Hifi. Nat. L. V t. 8. ” Lahontan Memoir. T. II. p. 217. conf. Wöldike de lingua Grönland. p. 144. feg. Ack. Hafn. T. II. * Clarmont de aere , locis & aquis Angliae, Lond. ı1672., 12. ° Wotton’s Reflex. upon antient and modern Learning, p. 4. Pope's Lett. to Mr. Walfh. s. Pope Correfp. T. 1. 74.
08 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Buchſtaben (Sch) endige, und die Verwechſelung der Buchſtaben, die mit einerley Werkzeug der Rede gebildet werden, hatte fuͤglich ftatt, wenn dadurch der Haͤrte des Lauts konnte abgeholfen werden. Einige uns ſcheinbar harte Worte koͤnnen keinen Einwurf machen, da wir die wahre Ausſprache der griechiſchen ſo wenig als der roͤmiſchen Sprache wiſſen. Dieſes alles gab der Sprache einen ſanften Fluß, machte den Klang der Worte mannigfaltig, und erleichterte zu gleicher Zeit die unnachahmliche Zuſammenſetzung derſelben. Ich will nicht anführen, daß allen Sylben auch im gemeinen Reden ihre wahre Abmeſſung konnte gegeben werden, woran ſich in den abendlaͤndiſchen Sprachen nicht gedenken läßt. Solte man nicht aus dem Wohlklange der griechiſchen Sprache auf die Werkzeu⸗ ge der Sprache ſelbſt ſchlieſſen konnen? Man hat daher einiges Recht zu glauben, Homer verſtehe unter dern Sprache der Götter die sriechiehe und unter der Sprache der Menſchen die phrygiſche.
Der Ueberfluß der Vocalen war vornehmlich dasjenige, was die griechiſche Sprache vor andern geſchickt machte, durch den Klang und durch die Folge der Worte auf einander die Geſtalt und das Weſen der Sache ſelbſt auszudruͤcken. Zwey Verſe im? Homer machen den Druck, die Geſchwindigkeit, die verminderte Kraft im eindringen, die Langſam⸗ keit im durchfahren, und den gehemmten Fortgang des Pfeils, welchen Pandarus auf den Menelaus abſchoß, ſinnlicher durch den Klang als durch die Worte ſelbſt. Man glaubt den Pfeil wahrhaftig abgedruckt, durch die Luft fahren, und in den Schild des Menelaus eindringen zu ſehen. |
Die
= Lakemacher. Obferv. philolog. P. III. Obf. 4. p. 250. ftq. 2 Iliad. d v. 155.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 109
Die Beſchreibung des von Achilles geftellten Haufens feiner Myrmi⸗ doner, » wo Schild an Schild, und Helm an Helm, und Mann an Mann ſchloß, iſt von dieſer Art, und die Nachahmung derſelben iſt alle: zeit unvollkommen gerathen. Ein einziger Vers enthält dieſe Beſchrei⸗ bung; man muß ihn aber leſen, um die Schoͤnheiten zu fuͤhlen. Der Begrif von der Sprache wuͤrde bey dem allen unrichtig ſeyn, wenn man ſich dieſelbe als einen Bach, der ohne alles Geraͤuſch (eine Verglei— chung 2 über des Plato Schreibart) vorſtellen wollte; fie wurde ein ge: waltiger Strom, und konnte ſich erheben, wie die Winde, die des Ulyſſes Segel zerriſſen. Nach dem Klange der Worte,; die nur einen drey oder vierfachen Riß beſchrieben, ſcheinet das Segel in tauſend Stuͤcke zu platzen. Aber auſſer einem ſo weſentlichen Ausdrucke fand man derglei⸗ chen Worte hart und unangenehm.
Eine ſolche Sprache erforderte alſo feine und ſchnelle Werkzeuge, fuͤr welche die Sprachen anderer Voͤlker, ja die roͤmiſche ſelbſt nicht gemacht ſchienen; ſo daß ſich ein griechiſcher Kirchenvater beſchweret, daß die roͤmiſchen Geſetze in einer Sprache, die ſchrecklich klinge, geſchrieben waͤren. |
Wenn die Natur bey dem ganzen Baue des Körpers, wie bey den Werkzeugen der Sprache verfaͤhret, fo waren die Griechen aus einem fei⸗ nen Stoffe gebildet; Nerven und Mufkeln waren aufs empfindlichſte ela⸗
ſtiſch, und befoͤrderten die biegſamſten Bewegungen des Koͤrpers. In 0 3 allen
" Ihiad. , v. 215.
* Longin. aeg d. Se. 8, . 7.
Od“, v. 71. conf. Nliad. V v. 705 €7 Enftath. ad „i. J. p. 424.1. 10. edit. Rom, * Euftath. I. c. conf. Id. ad Iliad. &, p. 519. J. 43.
Gregor. Thaumat. Orat. paneg. ad Origenem. p. 49. 1. 43.
110 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
allen ihren Handlungen aͤuſſerte ſich folglich eine gewiſſe gelenkſame und geſchmeidige Gefaͤlligkeit, welche ein munteres und freudiges Weſen be: gleitete. Man muß ſich Koͤrper vorſtellen, die das wahre Gleichgewicht zwiſchen dem Mageren und Fleiſchigten gehalten haben. Die Abweichung auf beyden Seiten war den Griechen laͤcherlich, und ihre Dichter machen ſich luſtig über einen ! ee; einen 2 Philetas, und über einen 3 Agoracritus.
Dieſer Begrif von der Natur der Griechen könnte dieſelben vielleicht als Weichlinge vorſtellen, die durch den zeitigen und erlaubten Genuß der Wolluͤſte noch mehr entkraͤftet worden ſind. Ich kann mich hierauf durch des Pericles Vertheidigung der Athenienſer gegen Sparta, in Abe ſicht ihrer Sitten, einigermaſſen erklaͤren, wenn mir erlaubt iſt, dieſelbe auf die Nation uͤberhaupt zu deuten: Denn die Verfaſſung in Sparta war faſt in allen Stücken von der übrigen Griechen ihrer verſchieden. „Die „Spartaner, fagt + Pericles, „ſuchen von ihrer Jugend an durch ge⸗ „waltſame Uebungen eine maͤnnliche Staͤrke zu erlangen; wir aber leben „in einer gewiſſen Nachlaͤſſigkeit, und wir wagen uns nichts deſto weniger „in eben fo groſſe Gefaͤhrlichkeiten; und da wir mehr mit Muffe, als mit „langer Ueberdenkung der Unternehmungen, und nicht fo wohl nach Ge- ſetzen, als durch eine grosmuͤthige Freywilligkeit der Gefahr entgegen gehen, „ſo aͤngſtigen wir uns nicht uͤber Dinge, die uns bevorſtehen, und wenn „fie wirklich uͤber uns kommen, ſo find wir nicht weniger kuͤhn, fie zu er- „tragen, als diejenigen, welche ſich durch eine anhaltende Uebung dazu
| | „an⸗
Ariſtopli Ran. v. 1485.
2 Athen. Deipnos. L. XIII. c. 13. Aelian. Var. hifl. 1. IX. c. 14.
? Arifloph. quit. * Thuryd, I. II. c. 39.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. m
„anſchicken. Wir lieben die Zierlichkeit ohne Uebermaſſe und die Weis⸗ „heit ohne Weichligkeit. Unſer vorzuͤgliches iſt, daß wir zu groſſen Un⸗ „ternehmungen gemacht find, | Ich kann und will nicht behaupten, daß alle Griechen gleich fchön geweſen ſind: unter den Griechen vor Troja war nur ein Therſites. Dieſes aber iſt merkwuͤrdig, daß in den Gegenden, wo die Kuͤnſte gebluͤhet haben, auch die ſchoͤnſten Menſchen gezeuget worden. Theben war un— ter einem! dicken Himmel gelegen, und die Einwohner waren dick und ſtark,? auch nach des Hippocrates Beobachtung? über dergleichen ſumpfigte und waͤß rigte Gegenden. Es haben auch die Alten ſchon bemerket, daß dieſe Stadt, auſſer dem einzigen Pindarus, eben ſo wenig Poeten und Gelehrte aufzeigen koͤnnen, als Sparta, auſſer dem Aleman. Das attiſche Gebiet hingegen genoß einen reinen und heitern Himmel, welcher feine Sinne wuͤrkte, (die man! den Athenienſern beyleget,) folglich dieſen proportionirte Koͤrper bildete; und in Athen war der vornehmſte Sitz der Kuͤnſte. Eben dieſes lieſſe ſich erweiſen von Sicyon, Corinth, Rhodus, Ephe— ſus u. ſ. w. welches Schulen der Kuͤnſtler waren, und wo es alſo den— ſelben an fehönen Modellen nicht fehlen konnte. Den Ort, welcher in dem Sendſchreiben aus dem 3 Ariſtophanes zum Beweiſe eines natuͤrlichen Mangels bey den Athenienſern angefuͤhret worden, nehme ich, wie er muß genommen werden. Der Scherz des Poeten gruͤndet ſich auf eine Fabel vom Theſeus. Maͤſſig voͤllige Theile an dem Orte, wo Sedet
Horat. L. II. ep. J. v. 244.
8 Cie. de Fato. c. 4.
reg rm. p. 204.
Ci Orator, c. 8. conf. Dee 1 edit. H. Steph. c. 2. p. 16. ° Nubes, u. 1365,
112 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Sedet ae ternumque ſedebit 5 a“ Infelix Theſeus, Virg. N
waren eine attiſche Schoͤnheit. Man ſagt, k daß Theſeus aus feinem Verhafte bey den Theſprotiern nicht ohne Verluſt der Theile, von welchen geredet wird, durch den Hercules befreyet worden, und daß er dieſes als ein Erbtheil auf ſeine Nachkommen gebracht habe. Wer alſo beſchaffen war, konnte ſich ruͤhmen, in gerader Linie von dem Theſeus abzuſtammen, fo wie ein Geburtsmahl in Geſtalt eines Spieſſes? einen Nachkommen von den Spartis bedeutete. Man findet auch, daß die griechiſchen Kuͤnſt⸗ ler an dieſem Orte die Sparſamkeit der Natur bey ihnen, BODEN haben.
In Griechenland ſelbſt war unterdeſſen allezeit derjenige a von der Nation, in welcher fich die Natur freygebig, doch ohne Verſchwendung erzeigte. Ihre Colonien in fremde Laͤnder hatten beynahe das Schickſal der griechiſchen Beredſamkeit, wenn dieſe aus ihren Grenzen gieng. „So „bald die Beredſamkeit ,,, fagt 3 Cicero, „aus dem athenienſiſchen Ha⸗ „fen auslief, hat ſie in allen Inſeln, welche ſie beruͤhret hat, und „in ganz Aſien, welches ſie durchzogen iſt, fremde Sitten angenommen, „und iſt voͤllig ihres geſunden attiſchen Ausdrucks, gleichſam wie ihrer „Geſundheit, beraubet worden,. Die Jonier, welche Nileus nach der Wie⸗ derkunft der Herakliden aus Griechenland nach Aſien fuͤhrete, wurden unter dem heiſſeren Himmel noch wolluͤſtiger. Ihre Sprache hatte wegen der gehaͤuften Vocalen in einem Worte, noch mehr ſpielendes. Die
Sit⸗
" Schol. ad Ariſtoph. Nub. v. 1010.
Plutarch. de fera num. vindict. p. 563. 1. g. 3 Cie. de Orat. L.
in der Malerey und Bildhauerkunft, 13
Sitten der naͤchſten Inſeln waren unter einerley Himmelſtrich von den ioniſchen nicht verſchieden. Eine einzige Münze ! der Inſel Lesbos kann hier zum Beweiſe dienen. In der Natur ihrer Körper muß ſich alſo auch eine gewiſſe Abartung von ihren Stammvaͤtern gezeiget haben.
Noch eine groͤſſere Veraͤnderung muß unter entfernteren Colonien der Griechen vorgegangen ſeyn. Diejenige, welche ſich in Africa, in der Ge⸗ gend Pithicuſſa niedergelaſſen hatten, fiengen an die Affen fo ernſtlich als die Eingebohrnen anzubeten; ſie nenneten ihre Kinder ſo gar nach dieſem Thiere ?.
Die heutigen Einwohner in Griechenland ſind ein Metall, das mit dem Zuſatz verſchiedener andern Metalle zuſammen geſchmolzen iſt, an welchen aber dennoch die Hauptmaſſe kenntlich bleibt. Die Barbarey hat die Wiſſenſchaften bis auf dem erſten Saamen vertilget, und Unwiſſenheit bedecket das ganze Land. Erziehung, Muth und Sitten ſind unter einem harten Regimente erſtickt, und von der Freyheit iſt kein Schatten uͤbrig. Die Denkmale des Alterthums werden von Zeit zu Zeit noch mehr vertil- get, theils weggefuͤhret; und in engliſchen Gärten ſtehen itzo Säulen: von dem Tempel des Apollo zu Delos. So gar die Natur des Landes hat durch Nachlaͤſſigkeit feine erſte Geſtalt verlohren. Die Pflanzen in Creta + wurden allen andern in der Welt vorgezogen, und ißo ſiehet man an den Baͤchen und Fluͤſſen, wo man fie ſuchen ſolte, nichts als wilde
a Ran⸗ * Golz. T. II. tab. 14. Diodor. Sic. L, XX. p. 763. al. 4720. ? Stukely’s Itinerar. III. p. 32. * Theophraft. hiſt. plant. L. IX. c. 10. p. 31. I. 7. edit. Amfl. 1644, fol. Galien. de Antidot. J. fol. G. B. I. 28. Id. de Theriar ad Pifon. fol. 85. A. J. 20. 9
114 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Ranken und gemeine Kraͤuter. Und wie kann es anders ſeyn, da ganze Gegenden, wie die Inſel Samos, die mit Athen einen langwierigen und koſtbaren Krieg zur See aushalten konnte, 2 wuͤſte liegen. | Bey aller Veruͤnderung und traurigen Ausſicht des Bodens, bey dem gehemten freyen Strich der Winde durch die verwilderte und verwachſene Ufer, und bey dem Mangel mancher Bequemlichkeit, haben dennoch die heutigen Griechen viel natürliche Vorzuͤge der alten Nation behalten. Die Einwohner vieler Inſeln, (welche mehr als das feſte Land von Griechen bewohnt werden) bis in klein Aſien, ſind die ſchoͤnſten Menſchen, ſonder⸗ lich was das fchöne Geſchlecht betrift, nach aller Reiſenden Zeugniß. 3 Die attiſche Landſchaft giebt noch itzo, fo wie ehemals, + einen Blick von Menſchenliebe. Alle Hirten und alle Arbeiter auf dem Felde hieſſen die beyden Reiſegefaͤhrten Spon und Wheler willkommen, und kamen ihnen mit ihren Gruͤſſen und Wuͤnſchen wor. An den Einwohnern be⸗ merkt man noch itzo einen ſehr feinen Witz, und eine ED zu allen Unternehmungen. ö Es iſt einigen eingefallen, daß die frühzeitige Uebungen der ſchoͤnen Form der griechiſchen Jugend mehr nachtheilig als vortheilhaft geweſen. Man koͤnnte glauben, daß die Anſtrengung der Nerven und Mufkeln dem jugendlichen Umriſſe zarter Leiber anſtatt des ſanften Schwungs etwas eckigtes und fechtermaͤſſiges gegeben. Die Antwort hierauf liegt zum N theil Tournęfort Voyage Lettr. I. p. to. edit. Amfl. = Belon Obferv. L. II. ch. 9. p. l. a. HBelon Obferv. L. III. ch. 34. P. 350. b. Corn. le Brun. Voyage, fl p. 5 Dicacarch. Geogr. c. I. p. i. f
° Voyage de Son. & Wheler. T. I. P. 75: 76. ° Wheler’s Iourney into Graete p. 347.
in der Malerey und Vildhauerkunſt. 115
theil in dem Character der Nation. Ihre Art zu handeln und zu denken war leicht und natuͤrlich; ihre Verrichtungen geſchahen, wie Perikles ſagt, mit einer gewiſſen Nachlaͤſſigkeit, und aus einigen Geſpraͤchen des Plato“ kann man ſich einen Begrif machen, wie die Jugend unter Scherz und Freude ihre Uebungen in ihren Gymnaſien getrieben; und daher will er in feiner Republic, daß alte Leute ſich daſelbſt einfinden ſol⸗ len, um ſich der Annehmlichkeiten ihrer Jugend zu erinnern.
Ihre Spiele nahmen mehrentheils bey Aufgang der Sonne ihren Anfang, und es geſchahe ſehr oft, daß Socrates fo fruͤh dieſe Orte beſuchte. Man waͤhlte die Fruͤhſtunden, um ſich nicht in der Hitze zu entkraͤften, und ſo bald die Kleider abgelegt waren, wurde der Koͤrper mit Oele, aber mit dem ſchoͤnen attiſchen Oele uͤberſtrichen, theils ſich vor der empfindli⸗ chen Morgenluft zu verwahren; wie man auch ſonſt in der größten Kaͤl⸗ te! zu thun pflegte; theils um die heftigen Ausduͤnſtungen zu vermindern, die nichts als das 3 Ueberfluͤſſige wegnehmen ſolten. Das Oel ſolte auch die Eigenſchaft haben ° ſtark zu machen. Nach geendigten Uebungen gieng man insgemein ins Bad, mo der Körper von neuen mit Oele gefal- bet wurde, und Homer ſagt von einem Menſchen, der auf ſolche Art friſch aus dem Bade kommt, daß er 7 länger und ſtaͤrker ſcheine, und den
unſterblichen Göttern ähnlich ſey. P 2 Auf
Conf. Iyfis, p. 499. edit. Frf. 1602.
2 Plato de Repl.
Plato de Leg. L. III. p. 892. I. 30. 36. conf. Petiti. Leg. Att. p. 296. Maittaire Marm. Arundell. p. 483. Gr onov. ad Plauti Bacchid, u. ante ſolem exorientem.
Galen. de ſimpl. Medic. facult. L. II. c. 5. fol. 9. A. Opp. T. II. Fron- tin. Stratag. L. J. c. 7.
Lucian. de Gymmas. p. 907. Opp. T. II. ed. Reitz.
° Dionys. Halic. Art Rſiet. e. I. . b. de vi dicendi in Demoffh. c. 29. edit. Oxon
O a. T. v. 20.
116 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
Auf einer Bafe, " welche Carl Patin beſeſſen, und in welcher, wie er muthmaſſet, die Aſche eines berühmten Fechters verwahret geweſen, kann man ſich die verſchiedenen Arten und Grade 975 Ringens bey den Alten fehr deutlich vorſtellen. 1 95
Waͤren die Griechen beſtaͤndig barfuß, wie ſie ſelbſt die Menschen aus der Heldenzeit ? vorſtelleten, oder allezeit nur auf einer angebunde⸗ nen Sohle gegangen, wie man insgemein glaubt, ſo wuͤrde ohne Zweifel die Form ihrer Fuͤſſe ſehr gelitten haben. Allein es laͤßt fich erweiſen, daß ſie auf die Bekleidung und auf die Zierde ihrer Fuͤſſe mehr, als wir verwandt haben. Die Griechen hatten mehr als zehen DEN wodurch fie. Schuhe bezeichneten. 3
Die Bedeckung, welche man in den Spielen um die Hüfte u war bereits weggethan vor der Zeit, da die Kuͤnſte in Griechenland anfiengen zu blühen; + und dieſes war für die Kuͤnſtler nicht ohne Nutzen. We⸗ gen der Speiſe der Ringer in den groſſen Spielen, in ganz uralten Zeiten, fand ich es anſtaͤndiger von der Müchſpehe überhaupt als von Wahn Kaͤſe zu reden. i
Ich erinnere mich hier, daß man die Gewohnheit der erſten Chriſ en, die ganz nackend getauft worden, fremde ja unerweißlich finde, unten iſt mein Beweis; ich kann mich in Nebendingen weit weitlaͤuftig ein⸗
laſſen. 00 Patin. Numiſin. Imp. p. 160. 2 Huiloſtrat. Epiſt. 22. p. 922. conf. Macrob. Saturn. LP. * 5. 357. b edit. Lond. 1694 , 8. Hygin fab. 12. 3 conf. Arbuthnot’s Tablet of antient Coins. ch. 6. p. 16. * Thucyd. L. I. c. 6. Euflath. ad. Il. U. p. 1324 1. 16. ° Cyrilli Hieros. Catech. Myftag. II. c. 2. 3. 4. P. 284. H. edit. Th. Mi J les, Oxon. 1703. fol. Iof. Vicecomitis Obferv. de antig. Baptifini riti- bus, L. IV. c. 10 p. 286-289. _ Binghami Orig. Eccles. J. IV. L. XI. c. 1. Godem Hifl.de I Egliſe T. J. L. III. p. 023.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 117
Ich weiß nicht, ob ich mich auf meine Wahrſcheinlichkeiten über eine vollkommenere Natur der alten Griechen beziehen darf: ich wuͤrde bey dem zweyten Puncte an der Kuͤrze viel gewinnen. Charmoleos, ein junger Menſch von Megara, von dem ein n einziger Kuß auf zwey Talente geſchaͤtzt wurde, muß gewiß würdig geweſen ſeyn, zu einem Modelle eines Apollo zu dienen, und dieſen Charmoleos, den Alcibiades, den Charmides, den? Adimantus konnten die Kuͤnſtler alle Tage einige Stunden ſehen, wie ſie ihn zu ſehen wuͤnſchten. Die Kuͤnſtler in Paris hingegen will man auf ein Kinderſpiel verweiſen; und uͤber dem ſind die aͤuſſerſten Theile der Koͤrper, die nur im Schwimmen und Baden ſichtbar ſind, an allen und jeden Orten ohne Bedeckung zu ſehen. Ich zweifle auch, daß derjenige,s der in allen Franzoſen mehr fin⸗ den will, als die Griechen in ihren Acibiades gefunden haben, einen ſo kuͤh⸗ nen Ausſpruch behaupten koͤnnte. | Ich könnte auch aus dem vorhergehenden meine Antwort nehmen über das in dem Sendſchreiben angeführte Urtheil der Academien, daß gewiſſe Theile des Körpers eckigter, als es bey den Alten geſchehen, zu zeich⸗ nen ſind. Es war ein Gluͤck fuͤr die alten Griechen und fuͤr ihre Kuͤnſt⸗ ler, daß ihre Körper eine gewiſſe jugendliche Voͤlligkeit hatten; ſie muͤſſen aber dieſelbe gehabt haben: denn da an griechiſchen Statuen die Knöchel an den Haͤnden eckigt genug angemerkt ſind, welches an andern in dem Sendſchreiben benannten Orten nicht geſchehen iſt, ſo iſt es ſehr weohr⸗ ſcheinlich, daß ie die Natur alſo gebildet, unter ſich gefunden haben. P 3 Der
*
Lucian. Dial. Mort. X. G. 3 * Idem Navig. c. 2. p. 248. De la Chambre Difiours, ou il ef promvi/ e Fr angois font les plus
sapables. de tous les Peuples de la per feglion des? Bloguenie, Br
118 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Der beruͤhmte borgheſiſche Fechter von der Hand des Agaſias von Ephe⸗ ſus hat das Eckigte, und die bemerkten Knochen nicht, wo es die Neuren lehren: er hat es hingegen, wo es ſich an anderen griechiſchen Statuen befindet. Vielleicht iſt der Fechter eine Statue, welche ehemals an Orten, wo die groſſen Spiele in Griechenland gehalten wurden, geſtanden hat, wo einem jeden Sieger dergleichen geſetzet wurde. Dieſe Statuen muſten ſehr genau nach eben der Stellung, in welcher der Sieger den Preiß erhalten hatte, gearbeitet werden, und! die Richter der olympiſchen Spiele hielten uͤber dieſes Verhaͤltnis eine genaue Aufſicht: iſt nicht hier⸗ aus zu ſchlieſſen, daß die Kuͤnſtler alles nach der Natur gearbeitet haben? Von dem zweyten und dritten Puncte meiner Schrift iſt bereits von vie⸗ len geſchrieben worden meine Abficht wie es von ſelbſt zeigen kann, war alſo nur, den Vorzug der Werke der alten Griechen und die Nachahmung derſel⸗ ben mit wenigen zu beruͤhren. Die Einſicht unſerer Zeiten fordert ſehr viel von Beweiſen in dieſer Art, wenn ſie allgemein ſeyn füllen, und ſie ſetzen allezeit eine nicht geringe vorlaͤufige Einſicht voraus. Unterdeſſen ſind die Urtheile vieler Seribenten über der Alten ihre Werke in der Kunſt zus weilen nicht reifer, als manche Urtheile uͤber ihre Schriften. Koͤnnte man von jemand, der von den ſchönen Kuͤnſten überhaupt ſchreiben wollen, und die Quellen derſelben fo wenig gekannt hat, daß er dem Thucydides, deſſen Schreibart dem Cicero, wegen ihrer koͤrnigten Kürze und Höhe, wie er ſelbſt bekennet, 2 dunkel war, den Character der Einfalt an—
dichtet; konnte man, ſage ich, von einem ſolchen Richter ein wahres Ur⸗ 5 theil
Lucian. pro Imagin. p. 490. edit. Reitz. T. II. ® Cic. Brut. 2 ? Confiderations fur les revolutions 40 Arts. Paris, 1755, p. .
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 119
theil über die griechiſchen Werke in der Kunſt hoffen? Auch in einer fremden Tracht muß Thucydides niemanden alſo erſcheinen. Ein ande: rer Schriftſteller ſcheinet mit dem Diodor von Sicilien eben fo wenig be: kannt zu ſeyn, da er ihn vor einen Geſchichtſchreiber Hält, der den! Zier⸗ lichkeiten nachlaͤuft. Mancher bewundert auch etwas an der Arbeit der Alten, was keine Aufmerkſamkeit verdienet. „Kennern, ſagt? ein Neife- beſchreiber, , iſt der Strick, mit welchem Dirce an den Ochſen gebunden „ft, das ſchoͤnſte an dem größten Gruppo aus dem Alterthum, welches
„unter dem Namen il Toro Farneſe bekannt iſt. r
Ah mifer aegrota putruit cui mente ſalillum.
Ich kenne die Verdienſte der neuern Kuͤnſtler, die in dem Sendſchrei⸗ ben denen aus dem Alterthume entgegen geſetzet ſind: aber ich weiß auch, daß jene durch Nachahmung dieſer geworden, was ſie geweſen ſind, und es wuͤrde zu erweiſen ſeyn, daß fie gemeiniglich, wo fie von der Nachahmung der Alten abgewichen, in viele Fehler des groͤßten Haufens derjenigen neuern Kuͤnſtler, auf die ich nur allein in meiner Schrift ge⸗ zielet, verfallen ſind. |
Was den Umriß der Körper betrift, ſo ſcheinet das Studium der Natur, an welches ſich Bernini in reifern Jahren gehalten hat, dieſen groſſen Kuͤnſtler allerdings von der ſchoͤnen Form abgeführet zu haben. Eine Charitas von ſeiner Hand an dem Grabmale Pabſt Urban VIII. ſoll gar zu fleiſchigt ſeyn und eben dieſe Tugend an dem Grabmale Alexander VII.
| will Fagi Diſcours fur F Hiſt. Grecque p. 45. Noubean Voyage d Hollande, de Allem. de Suiffe & d’ Italie par Ir
de Blainville. 3 Richardfoon’ Account. eſc. 294. g.
12 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke will man ſo gar haͤßlich finden. Gewiß iſt, daß man die Statue Kö⸗ nigs Ludwig XIV. zu Pferde, an welcher Bernini funfzehen Jahr gear⸗ beitet, und welche uͤbermaͤſſige Summen gekoſtet, nicht hat gebrauchen koͤnnen. Der König war vorgeſtellet, wie er einen Berg der Ehre hin: auf reiten wolte: die Action des Helden aber ſo wohl als des Pferdes iſt gar zu wild und gar zu uͤbertrieben. Man hat daher einen Curtius, der ſich in den Pfuhl ſtuͤrzt, aus dieſer Statue gemacht, und ſie ſtehet itzo in dem Garten der Tuillerie. Die ſorgfaͤltigſte Beobachtung der Natur muß alſo allein nicht hinlaͤuglich ſeyn zu vollkommenen Begriffen der Schoͤnheit, ſo wie das Studium der Anatomie allein die ſchoͤnſten Ver⸗ haͤltniſſe des Körpers nicht lehren kann. Laireſſe hat dieſe, wie er ſelbſt berichtet, nach den Skelets des berühmten Bidloo genommen. Man kann jenen vor einen gelehrten in ſeiner Kunſt halten; und dennoch findet man, daß er vielmals in ſeinen Figuren zu kurz gegangen iſt. Die gute roͤmiſche Schule wird hierinn ſelten fehlen. Es iſt nicht zu laͤugnen, die Venus des Raphaels bey dem Goͤttermale ſcheinet zu ſchwer zu ſeyn, und ich mochte es nicht wagen, den Namen dieſes groſſen Mannes in einem Kinder⸗ morde von ihm, welchen Marcantonio geftochen, uͤber eben dieſen Punct, wie in einer ſeltenen! Schrift von der Malerey geſchehen, zu rechtfertigen. Die weiblichen Figuren haben eine gar zu volle Bruſt, und die Moͤrder dagegen ausgezehrte Korper. Man glaubt die Abſicht bey dieſem Con: trapoſt ſeyn geweſen, die Mörder noch abſcheulicher vorzuſtellen. Man
muß nicht alles bewundern: die Sonne ſelbſt hat ihre Flecken. Man folge dem Raphel in feiner beſten Zeit und Manier, ſo hat man, wie er, keine Vertheidiger noͤthig; und Parrhaſius und Zeuxis die in dem r. | Send⸗
Chaiubrai Idee de la Peint. p. 46. au Mans, 1662, 4.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 121
Sendſchreiben in dieſer Abſicht, und uͤberhaupt die hollaͤndiſchen Formen zu entſchuldigen, angefuͤhret worden, ſind hierzu nicht dienlich. Man erklaͤret zwar die daſelbſt beruͤhrte Stelle des! Plinius, welche den Par: rhaſius betrift, in dem Verſtande, wie fie dort angebracht worden, nem⸗ lich, „daß der Maler in das Magere verfallen ſey, da er die Schwulſt „bermeiden wollen, , Da man aber, wenn Plinius verſtanden, was er ge⸗ ſchrieben hat, vorausſetzen muß, daß er ſich ſelbſt nicht habe widerſprechen wollen, ſo muß dieſes Urtheil mit demjenigen, worinn er kurz zuvor dem. Parrhaſius den Vorzug in den aͤuſſerſten Linien, das iſt, in dem Umriſſe zuſchreibet, verglichen und uͤbereinſtimmend gemacht werden. Die ei: gentlichen Worte des Plinius ſind; „Parrhaſius ſcheine mit ſich ſelbſt „verglichen, ſich unter ſich ſelbſt herunter zuſetzen, in Ausdruͤckung der mitt— lern Korper. Es iſt aber nicht klar, was „mittlere Koͤrper, ſeyn ſollen. Man koͤnnte es von denjenigen Theilen des Koͤrpers verſtehen, welche der aͤuſſerſte Umriß einſchließt. Allein ein Zeichner ſoll feinen Körper von allen Seiten, und nach allen Bewegungen kennen: er wird denſelben nicht allein vorwerts, ſondern auch von der Seite, und von allen Puncten ge: ſtellet, verſtehen zu zeichnen, und dasjenige, was im erſteren Falle von dem Umriſſe eingeſchloſſen zu ſeyn ſcheinen konnte, wird in dieſem Falle der Um— riß ſelbſt ſeyn. Man kann nicht ſagen, daß es fuͤr einen Zeichner mittlere Theile des Körpers giebt: (ich rede nicht von dem Mittel des Leibes:) eine jede Mufkel gehöret zu feinem aͤuſſerſten Umriſſe und ein Zeichner, der feſt iſt in dem aͤuſſerſten Umriſſe, aber nicht in dem Umriſſe derjenigen Theile, wel⸗ che der aͤuſſerſte einſchließt, iſt ein Begrif, der ſich weder an ſich ſelbſt, noch
in “ Plin. Hiſt. Naf. L. 35. c. 10. ¶ Durand) Extrait de] hifl. de la Print. depline p. 56. ; a
a
122 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke in Abſicht auf einen Zeichner gedenken laͤßt. Es kann hier die Rede ganz und gar nicht von dem Umriſſe ſeyn, auf welchem das Magere oder die Schwulſt be⸗ ruhet. Vielleicht hat Parrhaſius Licht und Schatten nicht verſtanden, und den Theilen feines Umriſſes ihre gehörige Erhöhung und Vertiefung nicht gegeben; welches Plinius unter dem Ausdrucke der „mittleren Korper, oder „der mittleren Theile deſſelben, kann verſtanden haben; und dieſes möchte die einzige mögliche Erklärung ſeyn, welche die Worte des Plinius annehmen koͤnnen. Oder es iſt dem Maler ergangen, wie dem beruͤhmten La Fage, den man vor einen groſſen Zeichner halten kann: man ſagt, ſo bald er die Palette ergriffen und malen wollen, habe er ſeine eigene Zeichnung verdorben. Das Wort „Geringer, beym Plinius gehet alſo nicht auf den Umriß. Mich deucht, es koͤnnen des Parrhaſius Gemaͤlde auſſer den Eigenſchaften, die ihnen obige Erklaͤrung giebt, nach Anleitung der Wor⸗ te des Plinius, auch noch dieſen Vorzug gehabt haben, daß die Umriſſe ſanft im Hintergrunde vermalet und vertrieben worden, welches ſich in den mehreſten uͤbrig gebliebenen Malereyen der Alten, und in den Werken neuerer Meiſter zu Anfange des ſechszehenden Jahrhunderts nicht findet, in welchen die Umriſſe der Figuren mehrentheils hart gegen den Grund abgeſchnitten ſind. Der vermalte Umriß aber gab den Figuren des Par⸗ rhaſius dennoch allein ihre wahre Erhobenheit und Ruͤndung nicht, da die Theile derſelben nicht gehörig erhoͤhet und vertieft waren; und hierinn war er alſo unter ſich ſelbſt herunterzuſetzen. Iſt Parrhaſius der groͤßte im Umriſſe geweſen, ſo hat er eben ſo wenig in das Magere, als in die Schwulſt verfallen koͤnnen.
Was des Zeuxis weibliche Figuren betrift, die er nach Homers Be⸗ griffen ſtark gemacht, ſo iſt daraus nicht zu ſchlieſſen, wie in dem Send⸗
ſchrei⸗
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 123
ſchreiben geſchehen, daß er ſie ſtark, wie Rubens, das iſt, zu fleiſchigt gehalten. Es iſt zu glauben, daß das ſpartaniſche Frauenzimmer, vermoͤ⸗ ge ihrer Erziehung, eine gewiſſe maͤnnliche jugendliche Form gehabt hat, und gleichwohl waren es, nach dem Bekaͤntniſſe des ganzen Alterthums; die · größten Schönheiten in Griechenland; und alſo muß man ſich das Ge waͤchs der Helena einer Spartanerinn, beym Theocrit? vorſtellen.
Ich zweifle alſo, daß Jacob Jordans, deſſen Vertheidigung man in dem Sendſchreiben mit vielem Eifer ergriffen hat, ſeines gleichen unter den griechiſchen Malern finden wuͤrde. Ich getraue mich mein Urtheil von dieſem groſſen Coloriſten allezeit zu behaupten. Der Verfaſſer des ſo genannten Auszugs von dem Leben der Maler hat die Urtheile uͤber dieſelbe fleiſſig geſammlet; aber ſie zeugen nicht an allen Orten von einer groſſen Einſicht in die Kunſt, und manche ſind unter ſo vielen Umſtaͤn— den angebracht „daß ein Urtheil auf mehr als auf einen Kuͤnſtler ins be⸗ ſondere konnte angewendet werden.
Bey dem freyen Zutritte, welchen Ihro Koͤnigl. Maj. in Bohlen allen Kuͤnſtlern und Liebhabern der Kunſt verſtatten, kann der Augenſchein mehr lehren, und iſt uͤberzeugender, als das Urtheil eines Scribenten: ich berufe mich auf die Darbringung im Tempel und auf den Diogenes vom gedachtem Meiſter. Aber auch dieſes Urtheil von Jordans hat eine Er- laͤuterung noͤthig, wenigſtens in Abſicht der Wahrheit. Der allgemeine Begrif von Wahrheit ſolte auch in Werken der Kunſt ſtatt finden, und nach demſelben iſt das Urtheil ein Nägel, Der einzige mögliche Sinn deſſelben moͤchte etwa folgender ſeyn. |
Rubens hat nach der unerfchöpflichen Fruchtbarkeit feines Geiſtes wie Homer gedichtet; er iſt reich bis zur Verſchwendung: er hat das
Q 2 wun⸗ Mieocrit. Tayll. 18. v. 29.
124 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke wunderbare wie jener geſucht, ſo wohl uͤberhaupt, wie ein dichteriſcher und all⸗ gemeiner Maler, als auch ins beſondere, was Compoſition, und Licht und Schatten betrift. Sein Figuren hat er in der vor ihm unbekannten Manier, die Lichter, auszutheilen, geſtellet, und dieſe Lichter welche auf die Hauptmaſſe vereiniget find, find ſtaͤrker als in der Natur ſelbſt zuſammen gehalten, um auch dadurch ſeine Werke zu begeiſtern, und etwas ungewoͤhnliches in dieſelbe zu le⸗ gen. Jordans, von der Gattung niederer Geiſter, iſt in dem Erhabenen der Malerey mit Rubens, feinem Meiſter, keinesweges in Vergleichung zu ftel: len: er hat an die Hoͤhe deſſelben nicht reichen, und ſich uͤber die Natur nicht hinaus ſetzen koͤnnen. Er iſt alſo derſelben naͤher gefolget, und wenn man dadurch mehr Wahrheit erhält, fo möchte Jordans den Cha: racter einer mehrern Wahrheit als Rubens verdienen. Er hat die Natur gemalet, wie er ſie gefunden.
Wenn der Geſchmack des Alterthums der Kuͤnſtler Re gel in Abſcht der Form und der Schönheit nicht ſeyn ſoll, fo wird gar keine anzuneh⸗ men ſeyn. Einer würde feiner Venus, wie ein neuerer namhafter Ma⸗ ler gethan, ein gewiſſes franzöfifches Weſen geben: ein anderer wuͤrde ihr eine Habichtsnaſe machen; da es wuͤrklich geſchehen, 2 daß man die Naſe an der mediceiſchen Venus alſo gebildet finden wollen: noch ein anderer wuͤrde ihr ſpitzige und ſpillenfoͤrmige Finger zeichnen, wie der Begrif einiger Ausleger der Schönheit, welche Lucian beſchreibet, gewe— ſen. Sie würde uns mit ſineſiſchen Augen anſehen, wie alle Schoͤn⸗
hei⸗
Ob ſervat. fur les Arts & fur quelques Morceaux de Peinture & de Sculpt. expofes au Louvre en 1748. p. 65.
Nouvelle dinifion de la Terre par les dijferentes Epeces d hommes ett. dans le Journ. des Spav. Pan a Aur. p. 152.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 125 heiten aus einer neuern italieniſchen Schule; ja aus jeder Figur wuͤrde man m Vaterland des Kuͤnſtlers ohne Beleſenheit errathen konnen. Nach
= Democritus Vorgeben ſollen wir die Götter bitten, daß uns nur weh Bilder vorkommen, und dergleichen Bilder find der Alten ihre.
Die Nachahmung der Alten in ihrem Umriſſe völlig gebildeter Körper kann unſern Kuͤnſtlern, wenn man will, eine Ausnahme in Abſicht der fiammingiſchen Kinder geſtatten. Der Begrif einer ſchoͤnen Form laͤßt ſich bey jungen Kindern nicht eigentlich anbringen: man ſagt; ein Kind iſt ſchoͤn und geſund: aber der Ausdruck der Form begreift ſchon die Reife gewiſſer Jahre in ſich. Die Kinder vom Fiammingo ſind itzo bey nahe wie eine vernuͤnftige Mode, oder wie ein herrſchender Geſchmack, dem unſere Kuͤnſtler billig folgen, und die Academie in Wien, welche ge: ſchehen laſſen, daß man den antiquen Cupido den Abguͤſſen vom Fiam⸗ mingo nachgeſetzt, hat dadurch von der Vorzuͤglichkeit der Arbeit neuerer Kuͤnſtler in Kindern uͤber eben die Arbeiten der Alten keine Entſcheidung, wie mich deucht, gegeben; welches der Verfaſſer des Sendſchreibens aus dieſer angebrachten Nachricht möchte ziehen wollen. Die Academie iſt bey dieſer Nachſicht dennoch bey ihrer geſunden Lehrart und Anweiſung zur Nachahmung des Alterthums geblieben. Der Kuͤnſtler, welcher dem Ver⸗ faſſer dieſe Nachricht mitgetheilet, iſt, fo viel ich weiß, meiner Meinung. Der ganze Unterſchied iſt dieſer: die alten Kuͤnſtler giengen auch in Bil⸗ dung ihrer Kinder uͤber die gewoͤhnliche Natur, und die neuern Kuͤnſt⸗ ler folgen derſelben. Wenn der Ueberfluß, welchen dieſe ihren Kindern ge: hen, keinen Einfluß hat in ihre Begriffe von einem jugendlichen Koͤrper
r und
Nutarch. Vit. Aemil. p. 147. edit. Bryani T. II.
126 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke und von einem reifen Alter, fo kann ihre Natur in dieſer Art ſchoͤn ſeyn: aber der Alten ihre iſt deswegen nicht fehlerhaft.
Es iſt eine aͤhnliche Freyheit, die ſich unſere Kuͤnſtler in dem Haarputze ihrer Figuren genommen haben, und die ebenfals bey aller Nachahmung der Alten beſtehen kann. Will man ſich aber an die Natur halten, fo fallen die vordern Haare viel ungezwungener auf die Stirn herunter, wie es ſich in jedem Alter bey Menſchen, die ihr Leben nicht zwiſchen dem Kamme und dem Spiegel verliehren, zeigen kann: folglich kann auch die Lage der Haare an Statuen der Alten lehren, daß dieſe allezeit das einfaͤltige und das wahre geſucht haben; da es gleichwohl bey ihnen nicht an Leuten gefehlet, die ſich mehr mit ihrem Spiegel, als mit ihren Verſtande unter⸗ halten, und die ſich auf die Symmetrie ihrer Haare ſo gut als der zier⸗ lichſte an unſern Höfen verſtanden. Es war gleichſam ein Zeichen einer freyen und edlen Geburt, die Haare fo, wie die Koͤpfe und Statuen der Griechen zu tragen.“
Die Nachahmung des Umriſſes der Alten iſt unterdeſſen auch von denen, welche hierinn nicht die gluͤcklichſten geweſen find, niemals verwor⸗ fen worden, aber uͤber die Nachahmung der edlen Einfalt und der ſtillen Groͤſſe find die Stimmen getheilt. Dieſer Ausdruck hat ſelten allgemei⸗ nen Beyfall gefunden, und Kuͤnſtler haben mit demſelben allezeit viel ge⸗ waget. Alſo ſahe man dieſe wahre Groͤſſe an dem? Hercules vom Ban⸗ dinello in Florenz als einen Fehler an: in dem? Kindermorde des Rapha⸗ els verlanget man mehr wildes und ſchreckliches in den Geſchtern der Mörder,
Nach
1 Lurian. Navig. s. votumt. c. 2. p. 249. * Borghini Ripofo L. II. p. lag. 3 Chambray Jar de la Print. p. 47.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 127
Nach dem allgemeinen Begriffe „der Natur in Ruhe,, konnten die Fi⸗ guren vielleicht den jungen Spartanern des Kenophon aͤhnlich werden, welches der Verfaſſer des Sendſchreibens auch nach der Regel der „ſtillen Groͤſſe, beſorget; ich weiß auch, daß der größte Theil der Menſchen, wenn auch der Begrif meiner Schrift allgemein feſt geſetzt und angenommen waͤre, ein Gemaͤlde nach dieſem Geſchmacke des Alterthums gearbeitet, dennoch anſehen koͤnnte, wie man eine Rede vor den Areopagiten gehal⸗ ten, leſen würde, Allein der Geſchmack des größten Haufens kann nie: mahls Geſetze in der Kunſt geben. In Abſicht des Begrifs „der Natur „in Ruhe,, hat der Hr. von Hagedorn in feinem Werke, welches mit fo vie⸗ ler Weisheit als Einſicht in dem Feinſten der Kunſt abgefaſſet ift, vollkom⸗ men Recht, in groſſen Werken mehr Geiſt und Bewegung zu verlangen. Aber dieſe Lehre hat allezeit viel Einſchraͤnkung noͤthig: niemals ſo viel Geiſt, daß ein ewiger Vater einem raͤchenden Mars, und eine Heilige in Entzuͤckung einer Bacchante ahnlich werde.
Wem dieſer Character der hoͤhern Kunſt unbekannt iſt, in deſſen Augen wird eine Madonna vom Triviſano, eine Madonna vom Raphael niederſchlagen: ich weiß, daß ſelbſt Kuͤnſtler geurtheilet haben, die Madon⸗ na des erſtern ſey dem Königl. Raphael ein wenig vortheilhafter Nachbar. Es ſchien daher nicht uͤberfluͤſſig, vielen die wahre Gröffe des ſeltenſten aller Werke der Gallerie in Dreßden zu entdecken, und dieſen gegenwaͤr⸗ tig einzigen unverſehrten Schatz von der Hand dieſes Apollo der Maler, welcher in Deutſchland zu finden iſt, denen die ihn ſehen, ſchaͤtzbarer zu machen. | 7 Man muß bekennen, daß der Königliche Raphael in der Compoſiti⸗ on der Transfiguration deſſelben nicht beykommt; dahingegen hat jenes
Werk
128 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke Werk einen Vorzug, den dieſes nicht hat. An der volligern Ausarbeitung der Trans figuration hat Giulio Romano vielleicht eben fo viel Antheil als deſ⸗ fer groſſer Meiſter ſelbſt, und alle Kenner verſichern, daß man beyde Han- de in der Arbeit ſehr wohl unterſcheiden konne. In jenem aber finden Kenner die wahren urſpruͤnglichen Zuge von eben der Zeit des Meiſters, da derſelbe die Schule zu Athen im Vatican gearbeitet hat. 8. den Va⸗ ſari will ich mich hier nicht noch einmahl berufen.
Ein vermeinter Richter der Kunſt, der das Kind in den Armen der Madonna ſo elend findet, iſt fo leicht nicht zu belehren. Pythagoras ſiehet die Sonne mit andern Augen an als Anaxagoras: jener als einen Gott, dieſer als einen Stein, wie ein alter! Philoſoph ſaagt. Der Neuling mag-Anaxagoras ſeyn: Kenner werden der Parthey des Py- thagoras beytreten. Die Erfahrung ſelbſt kann ohne Betrachtung des hohen Ausdrucks in den Geſichtern des Raphaels Wahrheit und Schoͤn⸗ heit finden und lehren. Ein ſchoͤnes Geſicht gefällt, aber es wird mehr reizen, wenn es durch eine gewiſſe ? uͤberdenkende Mine etwas ernſthaftes erhaͤlt. Das Alterthum ſelbſt ſcheinet alſo geurtheilet zu haben: ihre Künſtler haben dieſe Mine in alle Koͤpfe des Antinous gelegt; die mit den vordern Locken bedeckte Stirn deſſelben giebt ihm dieſelbe nicht. Man weiß ferner, daß dasjenige, was bey dem erſten Augenblicke gefällt, nach demſelben vielmahls aufhöret zu gefallen: was der voruͤbergehende Blick hat ſammlen koͤnnen, zerſtreuet ein aufmerkſamers Auge, und die Schmin— ke verſchwindet. Alle Reizungen er halten ihre Dauer durch Nachforſc „= 3 und Ueberlegung, und man ſucht in das verborgene gefaͤllige tiefer einzi
77
Maxim. Tyr. Dill: 25. P. 305. edit. Marklandi. 2 v. Speblator u. 418.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. | 129
dringen. Eine ernſthafte Schönheit wird uns niemahls völlig fatt und zu⸗ frieden gehen laſſen; man glaubt beſtaͤndig neue Reizungen zu entdecken: und ſo ſind Raphaels und der alten Meiſter ihre Schoͤnheiten beſchaffen: nicht ſpielend und liebreich, aber wohlgebildet und erfuͤllet mit einer wahrhaften und urſpruͤnglichen Schoͤnheit. Durch Reizungen von die⸗ fer Art iſt Cleopatra durch alle Zeiten hindurch berühmt worden. Ihr Geſicht ſetzte niemand in Erſtaunen, aber ihr Weſen hinterließ bey allen, die ſie anſahen, ſehr viel zuruͤck, und ſie ſtegte ohne Wiederſtand, wo fie wolte. Einer? franzoͤſiſchen Venus vor ihrem Nachttiſche wird es er⸗ gehen, wie jemand von dem Sinnreichen beym Seneca geurtheilet hat: es verliehret viel, ja vielleicht alles, wenn man es ſucht zu erforſchen.
Die Vergleichung zwiſchen dem Raphael und einigen groſſen hollaͤn⸗ diſchen und neuern italiaͤniſchen Meiſtern, welche ich in meiner Schrift ge⸗ macht habe, betrift allein das Tractament in der Kunſt. Ich glaube, das Urtheil uͤber den muͤhſamen Fleiß in den Arbeiten der erſteren wird eben dadurch, daß derſelbe hat verſteckt ſeyn ſollen, noch gewiſſer: denn eben dieſes verurſachte dem Maler die größte Muͤhe. Das : ſchwerſte in allen Werken der Kunſt iſt, daß dasjenige, was ſehr ausgearbeitet wor⸗ den, nicht ausgearbeitet ſcheine; dieſen ? Vorzug hatten des Nicomachus Gemalde nicht.
Van der Werff bleibet affeei ein groſſer Kuͤnſtler, und feine Stücke Ba mit Recht die Cabinette der Groſſen in der Welt. Er hat ſich
2 Hi. Icon. . P. gl. * Plutarch. Obſervat. fur les Arts. etc. p. 65. 7 Quintil. Inſt. L. IX. c. 4. Autarch. Timoleon. p. 142. N be⸗
130 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke bemühet, alles wie von einem einzigen Guſſe zu machen: alle ſeine Zuͤge ſind wie geſchmolzen, und in der uͤbertriebenen Weichlichkeit ſeiner Tinten iſt, fo zu ſagen, nur ein einziger Ton. Seine Arbeit konnte daher emailli⸗ ret eher als gemalet heiſſen. d |
Unterdeſſen gefallen feine Gemälde, : Aber kann das Gefällige ein Hauptcharacter der Malerey ſeyn? Alte Köpfe von Dennern gefallen auch: wie wuͤrde aber das weiſe Alterthum urtheilen? Plutarch wuͤrde dem Meiſter aus dem Munde eines Ariſtides oder eines Zeuxis ſagen: „Schlechte! Maler, die das Schöne aus Schwachheit nicht erreichen koͤn⸗ „nen, ſuchen es in Warzen und in Runzeln , Man erzaͤhlet vor gewiß, daß Kaiſer Carl VI. den erſten Kopf von Dennern, den er geſehen, ge— ſchaͤtzt, und an demſelben die fleiſſige Art in Oel zu malen bewundert habe. Man verlangte von dem Meiſter noch einen dergleichen Kopf, und es wurden ihm etliche tauſend Gulden fuͤr beyde bezahlet. Der Kaiſer, welcher ein Kenner der Kunſt war, hielt fie beyde gegen Köpfe vom van Dyk und vom Rembrant, und ſoll geſagt haben; „er habe zwey „Stuͤcke von dieſem Maler, um etwas don ihm zu haben, weiter aber ver⸗ „lange er keine mehr, wenn man ſie ihm auch ſchenken wolle, Eben fü urtheilete ein gewiſſer Engelaͤnder von Stande: man wolte ihm denneri⸗ ſche Köpfe anpreiſen; „Meinet ihr,, gab er zur Antwort, „daß unſere Na⸗ tion Werke der Kunſt ſchaͤtze,, an welchen der Fleiß allein, der Verſtand „aber nicht den geringſten Antheil hat?
Dieſes Urtheil über Denners Arbeit folget unmittelbar auf den Van der Werff nicht deswegen, daß man eine Vergleichung zwiſchen beyden Meiſtern zu machen, geſonnen waͤre; denn er reichet bey weiten nicht an van der Werfs Verdienſte: W n nur durch jenes Arbeit, als durch ein
Bey⸗ Autarcli. adul. & amici di 1 P. G. D.
in der Malerey und Bildhauerkunſt. 131
Beyſpiel zu zeigen, daß ein Gemälde, welches gefällt, eben fo wenig ein allgemeines Verdienſt habe, als ein Gedicht, welches gefällt, wie der Verfaſſer des Sendſchreibens ſcheinet behaupten zu wollen.
Es iſt nicht genug, daß ein Gemaͤlde gefällt; es muß beſtaͤndig ge⸗ fallen: aber eben dasjenige, wodurch der Maler hat gefallen wollen, macht uns feine Arbeit in kurzer Zeit gleichguͤltig. Er ſcheinet nur für den Geruch gearbeitet zu haben: denn man muß ſeine Arbeit dem Geſichte ſo nahe bringen als Blumen. Man wird ſie beurtheilen, wie einen koſtbaren Stein, deſſen Werth der geringſte bemerkte Tadel verringert.
Die groͤßte Sorgfalt dieſer Meiſter gieng alſo blos auf eine ſtrenge Nachahmung des allerkleinſten in der Natur: man ſcheuete ſich das ge— ringſte Haͤrchen anders zu legen, als man es fand, um dem ſchaͤrfſten Auge, ja wenn es moͤglich geweſen ware, ſelbſt den Vergroͤſſerungsglaͤ⸗ ſern das unmerklichſte in der Natur vorzulegen. Sie ſind anzuſehen als Schüler des Anaxagoras, der den Grund der menſchlichen Weisheit in der Hand zu finden glaubte. So bald ſich aber dieſe Kunſt weiter wagen, und die groͤſſern Verhaͤltniſſe des Koͤrpers, und ſonderlich das Nackende hat zeichnen wollen, ſo gleich zeigt ſich \ . Infelix operis ſumma, quia ponere totum
Neſcit. H o R. Die Zeichnung bleibt bey einem Maler, wie die Action bey dem Redner des Demoſthenes das erſte, das zweyte und das dritte Ding.
Dasjenige was in dem Sendſchreiben an den erhobenen Arbeiten der Alten ausgeſetzet iſt, muß ich zugeſtehen, und mein Urtheil iſt aus mei⸗ ner Schrift zu ziehen. Die geringe Wiſſenſchaft der Alten in der Per⸗ ſpectiv, welche ich N angezeiget habe, iſt der Grund zu dem Vor⸗
R 2 wurf
152 Von der Nachahmung der griechiſchen Werke
wurf, den man den Alten in dieſem Theile der Kunſt machet: * > mir eine ausführliche Abhandlung über demſelben vor,
Der vierte Punct betrift vornemlich die Allegorie.
Die Fabel wird in der Malerey insgemein Allegorie genannt; 100 da die Dichtkunſt nicht weniger; als die Malerey die Nachahmung zum Endzweck hat, fo macht doch dieſe allein ohne Fabel * kein Gedicht, und ein hiſtoriſches Gemaͤlde wird durch die bloſſe Nachahmung nur ein ge⸗ meines Bild ſeyn, und man hat es ohne Allegorie anzuſehen, wie Dave: nant's ſo gennantes Heldengedicht Gondibert, wo alle e ver⸗ mieden iſt.
Colorit und Zeichnung ſind vielleicht in einem Gemaͤlde, was das Sylbenmaaß, und die Wahrheit oder die Erzaͤhlung in einem Gedichte find. Der Körper iſt da: aber die Seele fehlet. Die Erdichtung, die Seele der Poeſie, wie ſie Ariſtoteles nennet, wurde ihr zuerſt durch den